Der verlorene Ursprung
Impfung eine Reaktion ausgelöst hätte, aber die gegen Gelbfieber machte mir Sorgen, selbst als man mir sagte, daß sie höchstens leichte Kopfschmerzen und eine leicht erhöhte Temperatur hervorrufen konnte. Und tatsächlich fühlte ich mich den Rest des Tages über ziemlich krank - wenn auch zugegebenermaßen nur dann, wenn ich daran dachte.
Wir trafen erst um die Mittagszeit wieder bei Gertrude und Efrain ein und machten uns auf in ein nahe gelegenes Restaurant. Ich wartete, bis wir beim zweiten Gang angelangt waren - geschmortes Lamafleisch -, um das Problem erneut anzusprechen, das mich bedrückte: »Und? Haben Sie sich überlegt, wie wir an die Genehmigungen kommen?«
Marta und der Archäologe tauschten einen verschwörerischen Blick. »Ganz einfach. Wir werden keine beantragen«, eröffnete Efrain uns und legte das Besteck auf dem Tellerrand ab.
Seine Frau Gertrude fuhr wie von der Tarantel gestochen hoch: »Aber, um Himmels willen, Efrain! Was sagst du? Ohne Genehmigung? Da kommt man gar nicht hinein!«
»Ich weiß, mein Engel, ich weiß.«
»Ja und ...?«: Ihre Stimme hatte etwas Beschwörendes.
»Mein Gott, jetzt stellen Sie sich doch nicht so an!« Plötzlich verfiel der Archäologe ins respektvolle »Sie«, was in Bolivien allerdings traditionell dem familiärsten Umgangston entspricht.
»Sie wissen genau, daß man sie uns auf keinen Fall erteilen würde.«
»Wieso denn nicht?« protestierte seine Frau und fuhr dann genauso bolivianisch vertraulich fort: »Sie müssen Ihren Freunden im Ministerium doch nur von unseren Forschungen über die Yatiri erzählen.«
»Und wie lange, glauben Sie, würde es dauern, bis die Presse davon Wind bekäme? Sie wissen, wie die Dinge hier laufen.
Bevor wir auch nur einen Fuß in den Park gesetzt hätten, würden schon zig Archäologen das Gebiet durchkämmen, und man könnte die Geschichte der Yatiri in allen Zeitungen lesen.«
»Aber, Efrain, wir können nicht einfach so in den Urwald einmarschieren, ohne daß jemand davon erfährt. Das ist vollkommen verrückt!«
»Da bin ich ganz deiner Meinung, Gertrude«, meldete Marta sich zu Wort, »und das weiß Efrain. Außerdem benötigen wir im Dschungel ortskundige Führer, also Ureinwohner, ganz abgesehen davon, daß die drei da«, sie deutete auf Jabba, Proxi und mich, »noch nie in der >grünen Hölle< gewesen sind. Wir könnten uns ja vielleicht alleine durchschlagen, aber sie nicht. Sie wären verloren.«
»Nicht, wenn wir gut auf sie aufpassen, meine Liebe.« Der Archäologe beugte sich beschwörend vor. »Hören Sie! Ist Ihnen überhaupt klar, wie wichtig die Sache ist? Wenn auch nur das Geringste durchsickert, bedeutete es das Ende für unsere Arbeit. Und damit nicht genug. Stellen Sie sich vor, das Wissen der Yatiri geriete in die Hände skrupelloser Menschen. Haben Sie schon mal daran gedacht, daß die Macht der Yatiri sich zu einer Sicherheitsfrage von nationaler Tragweite entwickeln könnte? Falls diese Menschen tatsächlich im Urwald ein geheimes Wissen horten. Das darf jedenfalls nicht irgendwelchen Waffenhändlern in die Finger fallen.«
Ich mochte den Archäologen. Er gehörte zu denen, die Klartext redeten. Auch ich hatte in der Pyramide des Reisenden bereits ein solches Szenario entworfen, als ich Marta ganz anderer als wissenschaftlicher Interessen verdächtigt hatte. Efrain hatte in seiner nüchternen Analyse eine realere Bedrohung erkannt: Wir hatten es hier mit, bildlich gesprochen, hochsensiblem Material zu tun, quasi mit angereichertem Uran, und wenn wir nicht aufpaßten und die Kontrolle verloren, drohte womöglich eine Katastrophe.
»Aber das läßt sich kaum vermeiden, wenn wir sie tatsächlich ausfindig machen.« Marta wandte sich wieder ihrem Teller mit dem Lamafleisch zu, das langsam kalt zu werden drohte.
»Nein, nicht wenn wir unsere Erkenntnisse in der internationalen Fachpresse publik machen und so die Gefahr entschärfen! Wenn wir uns die Sache aus den Händen nehmen lassen, enden die Yatiri womöglich noch als Versuchskaninchen auf der Militärbasis in Guantanamo. Und wir sechs verschwinden am Ende einfach, zum Beispiel durch einen mysteriösen Unfall.« Bei dem Wort zeichnete er Anführungsstriche in die Luft. »Versteht ihr, was ich meine? Die Macht der Worte, der Sprache, und die Kontrolle über das menschliche Gehirn durch die Klänge sind doch für jede Regierung ein gefundenes Fressen. Wir hingegen wollen wissenschaftlich fundiert forschen, als Historiker und
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