Der verlorene Ursprung
empfangen.«
Proxi und ich blickten uns an.
»Arnau ist viel feiger als du«, stachelte sie ihn an. »Und selbst er geht, ohne zu murren.«
»Es ist ja auch sein kranker Bruder. Nicht meiner.«
»Na gut«, Lola wandte sich ostentativ von ihm ab, »wenn das so ist, kommst du eben nicht mit. Dann gehen nur Root und ich.
Du kannst ruhig nach Barcelona fahren und dort auf uns warten.«
Das blieb nicht ohne Wirkung. Die Vorstellung, von der Gruppe getrennt zu sein, ausgeschlossen, und nach Barcelona zurückgeschickt zu werden wie ein Paket, war mehr, als er ertragen konnte. Dazu wollte Lola allein, ohne ihn, in der Weltgeschichte herumreisen und würde womöglich einem anderen in die Arme laufen - bekanntlich wirkt der Regenwald aphrodisierend, und die Ureinwohner sind verführerisch schlank.
Jabba verzog reumütig das Gesicht. »Wie könnte ich denn zulassen, daß du ohne mich gehst?« protestierte er hilflos, mit jämmerlichem Blick. »Und wenn dir was zustößt?«
»Es wird mir schon jemand helfen, keine Sorge.«
Marta, Efrain und Gertrude starrten uns entgeistert an. Sie waren nicht sicher, ob es sich bei der Szene vor ihren Augen um einen ernsthaften Konflikt oder nur um stinknormales Gekabbel handelte. Mit der Zeit sollten sie sich daran gewöhnen und uns nicht mehr so ernst nehmen, doch bei dieser ersten Begegnung mit unserer Art zu diskutieren wirkten sie ziemlich ratlos.
Irgend etwas mußte geschehen. Diese für unsere Gastgeber ziemlich peinliche Situation durfte sich nicht länger hinziehen. Ich beschloß, ein Machtwort zu wagen. »Schon gut, jetzt hör auf, hier den Trottel zu spielen, na los«, sagte ich. »Du kommst mit, und zwar friedlich. Du weißt doch, Lola wird niemals zugeben, daß sie Angst hätte, ohne dich zu gehen.«
»Wie bitte!« Lola starrte mich entgeistert an. »Arnau, du bist echt ein Idiot.«
Ich zwinkerte ihr vielsagend zu, damit sie verstand, daß dies alles zu meiner Taktik gehörte, doch sie ignorierte mich.
»Einverstanden, ich komme mit«, gab Marc sich geschlagen. »Aber du übernimmst die Kosten.«
»Na klar.«
Marta, die bereits in der Pyramide Gelegenheit gehabt hatte, Jabba ein wenig kennenzulernen, reagierte als erste: »Wunderbar. Dann ist es also entschieden. Wir sechs machen uns zusammen auf. Was halten Sie davon, wenn wir morgen hierbleiben, um die Goldkarte zu studieren?«
Ich stimmte zu. »Was ist mit Ihren Ausgrabungen in Tiahuanaco?« wollte ich wissen.
»Aufgeschoben bis nach unserer Rückkehr, aufgrund bürokratischer Verzögerungen«, sagte Efrain mit einem breiten Grinsen. »Und wie wäre es jetzt mit einem ordentlichen Schluck Tarija-Schnaps? Sie haben im Leben garantiert keinen besseren Tropfen probiert.«
Beladen mit unserer gesamten Computerausrüstung und dem Material, das wir aus der Pyramide geholt hatten (den Steinring eingeschlossen), nahmen wir am nächsten Tag ein Taxi und begaben uns gleich vormittags zu Efrain und Gertrude. Offensichtlich quartierte sich Marta immer bei ihnen ein. Es war quasi ihr Zweitwohnsitz in Bolivien, da sie, wie sie uns erzählte, jedes Jahr mindestens sechs Monate dort verbrachte. Ich fragte mich, was sie wohl für eine Ehe führte, wenn ihr Mann auf den Philippinen lebte und sie ständig auf Achse war - von einem Ende der Welt zum anderen, allerdings in der entgegengesetzten Richtung. Nun, das ging mich nichts an, was Proxi nicht daran hinderte, tagelang Spekulationen über das Thema anzustellen.
Jener 12. Juni, ein Mittwoch, präsentierte sich herbstlich frisch, so daß es uns nichts ausmachte, ihn zu opfern, um über dem verflixten abstrakten Plan aus der Grabkammer zu brüten. Wir mußten herausfinden, was er bedeutete. Deshalb hatte Efrain seit dem frühen Morgen alle seine Freunde und Bekannten in den Ministerien und beim Militär abgeklappert. Er wollte eine möglichst detailgenaue und aktuelle Karte von Bolivien auftreiben. Ein paar bei den Ausgrabungen in Tiahuanaco beschäftigte Stipendiaten und ein Rekrut brachten sie kurz nach unserer Ankunft vorbei. Wir waren erstaunt, als wir sahen, wie viele weiße Flecken mit der Aufschrift »keine Daten« es in Bolivien gab - insbesondere im Amazonasgebiet. Selbstverständlich handelte es sich hier nicht um Landkarten für den Hausgebrauch, weit gefehlt. Es waren die besten und maßstabsgetreuesten offiziellen Karten des Landes, trotzdem hatte man mit bunten Markierungen weißer Flecken nicht gespart. Efraín hatte Karten angefordert, bei denen die
Weitere Kostenlose Bücher