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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Ohrläppchen von denen abhoben, die kein Sonnenblut in den Adern hatten. Und tatsächlich war auf der nächsten Seite der erste Inka Manco Capac abgebildet (>Capac< bedeutete >mächtig<), mit zwei Scheiben links und rechts vom Kopf, als hätte er riesige Ohrmuscheln.
    Plötzlich kam mir eine Idee. Hatte Proxi nicht gesagt, daß die Tiahuanaco regierenden Priester und Astronomen >Capaca< hießen? Ob >Capac< eine Ableitung von >Capaca< war? Um das zu überprüfen, mußte ich im Wörterbuch von Ludovico Bertonio nachschlagen ... das bei meinem Bruder zu Hause stand. Mir blieb keine andere Wahl, als mich im Internet auf die Suche zu begeben. Ich hatte Glück. Es dauerte nicht lange, und ich bekam über die virtuelle Bibliothek der Universität Lima einen freien Zugriff auf das Wörterbuch, so daß mir ein digitalisierter Bertonio bestätigte, daß >Capaca< tatsächlich >König< oder >Herr< bedeutete. Allerdings schränkte er ein, daß das Wort sehr alt (und das im Jahr 1612!) und nicht mehr gebräuchlich sei. Vielleicht stimmten die Inka-Legenden also wirklich in dem Punkt, daß Manco Capac, oder Capaca, und seine Ehefrau und Schwester Mama Ocllo wirklich aus Tiahuanaco stammten und von dort in den Norden gezogen waren, um Cuzco und das Inkareich zu gründen.
    Manco Capac war fürstlich herausgeputzt. Er trug einen Umhang über seinem Gewand, einen verzierten Stirnreif, offene Sandalen und Schleifen unterhalb der Knie und hielt einen sonderbaren Sonnenschirm sowie eine Lanze in den Händen. Besonders aber fiel mir die Verzierung seines Gewandes ins Auge: ein horizontales Band auf Taillenhöhe mit drei Streifen kleiner Rechtecke, wie sie auf Daniels Kopien fotografierter Stoffe zu sehen waren. Diesmal schaute ich jedoch genauer hin und entdeckte im Inneren der Rechtecke winzige Sterne, weitere Rechtecke, längliche Tilden und Rhomben mit Punkten in der Mitte . Die Motive wiederholten sich jeweils dreimal in diagonaler Anordnung, und ich fragte mich, was es mit diesen Textilmustern so Ungewöhnliches auf sich haben könnte, daß mein Bruder sich darauf verlegt hatte, sie zu sammeln.
    Das Licht des Großbildschirms an der Wand schreckte mich auf, er machte mich darauf aufmerksam, daß meine Mutter gerade wach geworden war. Als ich mich der Projektion zuwandte, teilte sich das Bild in der Mitte, und im rechten, spärlich beleuchteten Fenster sah ich, wie sie in ihrem manierlichen lindgrünen Nachthemd aus dem Bett sprang. Meine Wohnung war selbstredend komplett mit Bewegungsmeldern ausgestattet, und zusätzlich konnte das System jedes Familienmitglied identifizieren.
    Ich seufzte, und ein Gefühl wachsender Resignation überwältigte mich, während sie über den Gang auf mich zusteuerte wie die Titanic auf das Eis. Selbst als ich ihren Blick bereits in meinem Nacken spürte und ihr Bild im Sucher mir anzeigte, daß sie genau hinter mir im Türrahmen stand, hegte ich immer noch die vergebliche Hoffnung, sie würde eine andere Richtung einschlagen und wieder verschwinden.
    »Kann man erfahren, was du um diese Zeit hier machst?« schimpfte sie, kam ein paar Schritte näher und blieb vor dem Großbildschirm stehen, in welchem sie sich sehen konnte, die Arme in die Seiten gestemmt, das grüne Nachthemd, die wirren Haare und den ärgerlichen Gesichtsausdruck. »Und kann man erfahren, warum du mir nachspionierst? Ich erinnere mich nicht, dir das Spionieren beigebracht zu haben, als du klein warst!«
    »Ich lese.«
    »Du liest?!« regte sie sich auf. »Du wirst schon sehen. Am Ende muß ich dasselbe tun wie damals, als du zehn warst, nämlich einfach das Licht ausmachen.«
    Ich mußte lachen. »Dann nehme ich eine Taschenlampe, wie früher.«
    Sie lächelte auch. »Glaubst du, ich hätte das nicht gewußt?« fragte sie, zog einen Sessel zu sich heran und setzte sich. Die Nachtruhe war dahin. »Ich kann mich noch an die Batterien, die Kabel und diese winzigen Glühbirnen erinnern, die du zusammengebastelt hast, um unter der Bettdecke lesen zu können. Wußtest du, daß dein Bruder sich das von dir abgeguckt hat? Als wir in London wohnten und du im Internat warst, hat er dasselbe gemacht, nur, daß du Comics lesen wolltest und er richtige Bücher. Er war seinem Alter wirklich weit voraus ...!«
    Hatte ich schon erwähnt, daß mein Bruder der Lieblingssohn meiner Mutter ist?
    »Chaucer, Thomas Malory, Milton, Shakespeare, Marlowe, Jonathan Swift, Byron, Keats .«
    »Schon gut, Mama. Ich hab immer gewußt, wie intelligent mein Bruder

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