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Der verlorene Ursprung

Der verlorene Ursprung

Titel: Der verlorene Ursprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ist.«
    Für sie beschränkte sich Bildung auf die Geisteswissenschaften. Was ich tat, war nie in den Rang des >Respektablen< erhoben worden und ging definitiv nicht über einen jugendlichen Zeitvertreib hinaus. In den Augen meiner Mutter hatte ein Schuster oder ein Anstreicher einen anständigeren Beruf als ich: Sie taten wenigstens etwas Nützliches. So gesehen hatte mir Daniel natürlich immer etwas voraus: Anthropologe, Universitätsdozent, Wissenschaftler, dazu eine Frau und ein niedliches Kind. Was für einen Titel hatte ich denn vorzuweisen? Und was sollte dieser Kram mit dem Internet? Warum war ich noch ledig? Und schenkte ihr keine Enkelkinder? Bei ihrem letzten Besuch hatte sie deutlich ausgesprochen, daß ich die größte Niederlage ihres Lebens sei, wieviel Geld ich auch haben mochte. Und jetzt hatte ich den Eindruck, daß sie drauf und dran war, diese unangenehme Bemerkung zu wiederholen.
    »Du mußt endlich was tun, Arnie«, redete sie mir zärtlich ins Gewissen. »Das kann auf keinen Fall so weitergehen. Du bist bereits fünfunddreißig, ein erwachsener Mann, und es wird Zeit, daß du Entscheidungen triffst. Clifford und ich haben beschlossen, unser Testament zu machen . Ich weiß, es ist dafür noch ein bißchen früh, aber Clifford hat es sich in den Kopf gesetzt, und ich werde mich natürlich nicht dagegen sträuben. Das wäre ja dumm, meinst du nicht? Ich erzähle es dir auch nur, weil wir uns überlegt haben, Daniel einen größeren Teil zu vermachen als dir ... Mein Schatz, ich hoffe, es macht dir nichts aus. Er hat ja nicht soviel wie du, und wir wissen alle, wie wenig ein Dozent verdient. Außerdem hat er ein Kind und bekommt womöglich weitere. Ona und er sind ja noch jung. Deshalb .«
    »Es macht mir nichts aus, Mama«, sagte ich. »Überredet.«
    Was war schon dabei? Außerdem: Soweit ich wußte, unterstützte meine Mutter ihn schon lange mit kleineren monatlichen Beträgen, und sie zahlte für ihn die Hypothek auf die Wohnung in der Calle Xiprer ab. Es erschien mir richtig, daß mein Bruder mehr bekommen sollte als ich, auch wenn ich nicht umhinkonnte, dahinter einen Schachzug von Clifford zu vermuten. Clifford war okay, und wir schätzten einander, aber Daniel war sein Sohn und ich nicht. Jedenfalls brauchte ich das Geld glücklicherweise nicht, während es meinem Bruder, ob er sich nun wieder berappelte oder nicht, bestimmt gelegen kommen würde.
    »Wenn du Kinder hättest, wäre es natürlich etwas anderes. Du weißt ja, daß wir euch absolut gleich behandeln und wie sehr Clifford dich mag. Doch solange du ledig bleibst, gibt es da nichts zu diskutieren. Wir sterben ja noch nicht. Allerdings will ich dir sagen: Wenn du in den nächsten Jahren ein nettes Mädchen kennenlernst und heiratest oder eine Beziehung führst oder wie man das nennt, und ihr Kinder in die Welt setzt, dann wird das Testament eben geändert und fertig.«
    Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. »Du meinst, daß ich mehr erbe, wenn ich heirate und Kinder kriege?«
    Meine Mutter schaffte es immer wieder, mich aus der Fassung zu bringen. Ob sie wirklich glaubte, mich mit diesem völlig überflüssigen Argument zwingen zu können, mein Leben zu ändern? Das Labyrinth ihrer Gedankenwelt war einfach grotesk.
    »Natürlich! Glaubst du etwa, daß ich - ich! - so ungerecht wäre, die Enkel eines Sohnes gegenüber den Enkeln des anderen zu benachteiligen? Das würde mir doch niemals in den Sinn kommen! Arnau, ich bitte dich! Wie kannst du nur so was von mir denken! Als ob du deine Mutter nicht besser kennen würdest!«
    Wir sprachen noch keine fünf Minuten miteinander, und mir war bereits schwindelig und ganz schlecht.
    »Komm mit, Mama«, sagte ich, stand auf und streckte ihr die Hand entgegen, als wäre sie ein kleines Mädchen. Sie war auch wirklich gerade mal sechzig und hatte sich hervorragend gehalten - viel besser als zum Beispiel Marta Torrent, die mit ihrem weißen Haar an eine alte Frau erinnerte. Meine Mutter sah dank Gymnastik, Schönheitsoperationen und gefärbten Haaren zehn Jahre jünger aus.
    »Wohin gehen wir?« wollte sie wissen, als sie aufstand, um mir zu folgen.
    »In die Küche. Ich mache mir einen Tee, und du trinkst ein Glas heiße Milch.«
    »Aber fettarm bitte!«
    »Natürlich. Und dann«, flüsterte ich ihr zu, während ich sie an der Hand den Gang entlangführte, »gehst du ins Bett und läßt mich arbeiten, okay?«
    Sie lachte glücklich auf (sie fand es wunderbar, von Daniel und mir so behandelt

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