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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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»Der arme Mechanikus arbeitete Tag und Nacht, damit seine Mutter nicht hungern sollte und weil er ein Mädchen so sehr, so sehr lieb hatte. Er war unvorsichtig und nahm einiges Arbeitsmaterial; er wollte es nicht stehlen –«
    »Wilhelm!« rief sie in bittendem Tone.
    »Bei Gott, er wollte es nicht stehlen; er wollte es bezahlen, aber es kam nicht dazu. Er wurde arretirt und mit Gefängniß bestraft. Das ist es, ja, das ist es.«
    Da fuhr sie rasch herum und fragte:
    »Was soll das sein?«
    »Der Grund, warum Du nichts mehr von mir wissen magst. Ich bin gefangen gewesen.«
    »Nein, nein, das ist es nicht!«
    »O doch! Gewiß!«
    »Nein.«
    »So sage es mir!«
    Sie wurde unter Thränen glühend roth und antwortete:
    »Du weißt es ja. Du weißt, wo ich gewesen bin.«
    »Nun, wo denn?«
    »An der Ufergasse.«
    »Du hast doch nicht hingewollt und hast Dich gewehrt. Das weiß ich genau.«
    »Und dann bei der Melitta in Rollenburg.«
    »Auch dafür kannst Du nicht. Und was hast Du denn dort gethan? Nichts, gar nichts. Wir sind ja gekommen und haben Dich geholt!«
    »Wenn auch. Wer in einem solchen Hause gewesen ist, der – –«
    Thränen erstickten ihre Stimme. Er aber stand schnell bei ihr, ergriff ihre Hand wieder und fragte: »Nichts Anderes? Weiter nichts?«
    »Nein, weiter nichts.«
    »Es soll zwischen uns aus sein Deinetwegen, nicht aber meinetwegen?«
    »Ja.«
    »Herrgott! Mädchen, was fällt Dir ein! Würde ich Dich aus Rollenburg geholt haben, wenn es aus sein soll?«
    »Aber so etwas läßt sich nie vergessen!«
    »So etwas? Was denn? Du hast ja gar nichts Unrechtes gethan! Ich habe Alles erfahren, wie es gewesen ist. Der Tod Deines Vaters hat Dich so verstört gemacht. Dazu ich gefangen und Robert gefangen! Du bist ja fast irrsinnig gewesen. Du warst es ja noch in Rollenburg. Erst als Du mich erkanntest, bist Du so langsam wieder zum Bewußtsein gekommen. Geh, Du mußt mich aber doch für einen schlechten Menschen halten!«
    Er sagte zwar ›Geh‹, zog sie aber doch an sich heran, und jetzt ließ sie es geschehen. Er blickte ihr in das liebliche Angesicht; sie aber hielt die Augen niedergeschlagen.
    »Mariechen!« bat er.
    »Wilhelm!«
    »Ist’s wirklich aus?«
    »Ich dachte, es müßte.«
    »Und darum kamst Du nicht? Und darum schriebst Du mir nicht? Nur darum allein?«
    »Ganz allein,« hauchte sie.
    »Ich dachte, Du hättest mich nicht mehr lieb.«
    »O sehr, sehr!«
    Dabei verbarg sie das Gesicht an seinem Herzen.
    »Gott sei Dank!« sagte er. »Was bin ich doch für ein großer Esel gewesen! Weißt Du, was ich hätte thun sollen?«
    »Was?«
    »Ich hätte schnurstracks zu Dir kommen sollen. Deine Baronesse hätte mir wohl erlaubt, einige Worte mit Dir zu sprechen. So aber habe ich mir dumme Sorgen gemacht und mich ganz unnöthig gegrämt. Das aber wird nun anders. Mariechen, ich sage Dir: Ich schreibe nicht wieder!«
    »Nicht?« fragte sie, in seiner Umarmung glücklich zu ihm auflächelnd.
    »Nein. Was ich Dir zu sagen habe, kann ich Dir mündlich sagen. Soll ich? Darf ich?«
    »Ja.«
    »Also wir treffen uns alle Tage vor Eurer Thür, Abends punkt neun Uhr.«
    »Gut!«
    »Wenigstens heute, morgen und übermorgen. Fällt uns etwas Anderes, Besseres ein, können wir es uns sagen. Jetzt aber darfst Du nicht widersprechen!«
    »Das thue ich nicht.«
    »Und die Augen zu machen!«
    »Gut! So?«
    Er gab ihr einen Kuß, daß es laut schallte. Im Nu waren ihre Augen auf.
    »Um Gottes willen! Was machst Du!« sagte sie.
    »Das hast Du nicht gemerkt? Dann gleich noch einmal! Komm!«
    Er wollte ihr noch einen Kuß geben; sie aber wehrte ihn von sich ab und sagte:
    »Nein, nein! Die alte Dame draußen hört es ja!«
    »Gott bewahre!«
    »Freilich!«
    »Hätte sie es wirklich gehört?«
    »Natürlich! Du bist viel zu laut!«
    »Ach so! Na, dann leiser, viel leiser! Komm, Mariechen!«
    Er nahm sie beim Kopfe, hob ihr Gesicht in die Höhe und näherte seinen Mund ganz, ganz langsam ihren Lippen.
    »Paß auf!« flüsterte er. »Jetzt sollst nicht einmal Du etwas hören!«
    »So gar sehr leise braucht es nicht zu sein!«
    »Wie denn? Halb und halb?«
    »Ich will es Dir zeigen. So!«
    Sie schlang die Arme um seinen Nacken, zog seinen Kopf zu sich herab und küßte ihn.
    »Ach so!« sagte er. »Das muß ich mir merken, und damit ich es nicht vergesse, rasch noch einmal!«
    Er küßte sie wieder und immer wieder. Sie entgegnete seine Küsse mit glückstrahlendem Gesichte. Sie waren Beide so vertieft in diese angenehme

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