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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welcher sie ihn sahen. Ihr Vater verbeugte sich, so tief es ihm möglich war, und auch seine Frau erhob sich von dem Stuhle, auf welchem sie gesessen hatte.
    Früher war ihr Gesicht mit mehreren Tüchern verhüllt gewesen, jetzt aber hatte diese Hülle in Wegfall kommen können. Sie trug nur einen Schirm über den Augen, welche sehr angegriffen waren.
    Zander entfernte diesen Schirm, so daß der Fürst das Gesicht sehen konnte.
    »Bitte, Durchlaucht,« sagte er. »Vor Kurzem war da weder Haut noch Fleisch zu sehen. Jetzt haben sich die Muskeln gebildet und die Gesichtshaut erscheint. In einem Monate wird Frau Werner auf die Straße gehen können, ohne sehr großes Aufsehen zu erregen.«
    Die früher sehr unglückliche Frau brach vor Glück in ein lautes Schluchzen aus, in welches ihr Mann und ihre Kinder einstimmten. Es war eine Scene, welche zu Herzen ging. Der Fürst ergriff die Hand des Arztes, drückte sie herzlich und sagte: »Fast möchte ich Sie beneiden. So glücklich wie Sie, vermag Unsereiner keinen Menschen zu machen. Ich will aber sehen, ob es mir möglich ist, auch einen kleinen Beitrag zu leisten. Herr Werner, wenn Sie einen Wunsch haben, den ich erfüllen kann, so sprechen Sie!«
    »O Durchlaucht!« meinte der brave Mann zaghaft. »Einen Wunsch hätte ich schon, aber –«
    »Weiter!«
    »Aber er ist zu groß!«
    »Na, wir werden ja sehen!«
    »Ich möchte gern – gern –«
    »Was möchten Sie gern? Sehe ich denn gar so fürchterlich aus, daß Sie nicht zu reden wagen?«
    »O nein. Aber Sie haben schon so Viele!«
    »Was denn?«
    »Diener.«
    »Ach so! Sie möchten gern in meinen Dienst treten?«
    »Ja. Gott sei Dank! Jetzt ist es heraus!«
    »Das ist freilich ein Wunsch, den ich wohl kaum erfüllen kann!«
    Er hatte das sichtlich nur im Scherze gesagt; Werner aber antwortete sehr ernst darauf.
    »Das dachte ich mir! Verzeihung, Durchlaucht.«
    »Aber ich wüßte eine Stelle für Sie.«
    »Wirklich?«
    »Ja, und zwar eine Stelle, welche Ihnen behagen würde.«
    »Darf ich darnach fragen?«
    »Nein. Ich werde Ihnen aber den Contract schicken. Gefällt er Ihnen, so können Sie ihn unterschreiben.«
    »Ach, da bin ich gespannt!«
    »Ich mache freilich eine Bedingung. Nämlich Derjenige, welcher Ihnen diesen Contract bringt, beansprucht eine Belohnung dafür.«
    »Die soll er haben, wenn es in meinen Kräften steht.«
    »Es steht in Ihren Kräften und ich werde Ihre Geduld auch nicht sehr lange auf die Probe stellen.«
    Das war ein Versprechen, welches die ganze Familie mit Freude erfüllte. Sie hätten freilich am liebsten gleich jetzt gewußt, um was es sich handelte. Auch Doctor Zander, welcher sich für Werner’s sehr interessirte, war neugierig und erkundigte sich darnach, als er mit dem Fürsten wieder in dem Wagen saß.
    »Es war ein kühnes Versprechen, welches ich gab,« antwortete dieser. »Ich weiß zwar eine Stelle; vielleicht aber ist sie schon vergeben, auch habe nicht ich darüber zu verfügen, aber ich werde doch versuchen, ob es mir gelingt, sie dem braven Manne zu verschaffen. Jetzt nun bin ich gespannt, was ich bei Ihnen sehen und erfahren werde. Also Fels ist mit seiner Geliebten bereits da?«
    »Jedenfalls. Ich erwartete die Beiden, als Sie zu mir kamen, um mich nach dem Gefängnisse abzuholen.«
    Marie Bertram hatte, wie bekannt, eine Stellung bei Alma von Helfenstein gefunden. Wilhelm Fels, der Mechanikus, war als Gehilfe bei einem Meister eingetreten und befand sich wohl bei demselben. Nur eins bedrückte ihn, nämlich er bekam die Geliebte nicht zu sehen. Er ging täglich des Abends, wenn die Arbeit zu Ende war, an dem Palaste der Baronesse vorüber; er stand ganze Stunden lang auf der Straße und beobachtete die Fenster. Zuweilen war es ihm, als stehe die Geliebte oben und blicke auf die Straße herab, aber wenn er sich dann sehen ließ und ein Zeichen gab, so war sie verschwunden.
    Dann kam er auf den Gedanken, ihr zu schreiben. Er schrieb mehrere Briefe, erhielt aber keine Antwort. So kam es, daß er trüber und trüber gestimmt wurde und sich recht einsam und verlassen fühlte. Er hatte nun Niemand mehr; seine Mutter war ja unheilbar wahnsinnig. Dennoch besuchte er sie wöchentlich einige Male, aber sie kannte ihn nicht. Sie wimmerte leise und schmerzlich vor sich hin, wie sie es seit dem Tage gethan hatte, an welchem sich ihr Geist verwirrt hatte.
    Vorige Woche nun hatte er sie auch besuchen wollen, war aber mit dem Bescheide, daß sie nicht zu sprechen sei, abgewiesen

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