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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht.«
    »Seien Sie es; seien Sie es, Herr Doctor! Ich habe alles, alles Vertrauen zu Ihnen!«
    »Ich danke! Versuchen wir es also in Gottes Namen. Kommen Sie mit mir!«
    Er führte sie in ein anderes Zimmer, dessen Fenster so verhängt waren, daß ein sehr gedämpftes Licht in dem Raume herrschte.
    »Bitte, Herr Fels, setzen Sie sich da auf das Sopha und sagen Sie kein Wort. Bewegen Sie sich auch nicht. Sollte Ihre Mutter sprechen, sollte sie fragen, so antworten Sie nur dann, wenn ich Ihnen durch einen Wink die Erlaubniß dazu gebe. Und Sie, Fräulein Bertram, bleiben hier hinter diesem Bücherschrank stehen, bis ich Ihrer bedarf.«
    Den Fürsten bat er, sich hinter die Portière zu stellen. Dann begab er sich in das Nebenzimmer, dessen Eingang gerade gegenüber das Sopha stand, auf welchem Fels saß.
    Beim Oeffnen der Thür konnte man bemerken, daß dieses Nebenzimmer vollständig dunkel sei.
    Es trat eine höchst erwartungsvolle Pause ein. Der Sohn der unglücklichen Frau zitterte fast vor Aufregung. Jetzt brachte Zander die Leidende geführt. Ihre Augen waren verhüllt, und zwar so, daß sie die Binde nicht selbst entfernen konnte. In ihrem irrsinnigen Zustande hätte sie dies jedenfalls gethan.
    Sie folgte der Hand des Arztes ganz willig. Dabei aber murmelte sie leise klagend:
    »Blut! Blut! Er ist todt – todt – – todt!«
    Es war ihr nur der plötzliche Tod des Nachbars Bertram im Gedächtnisse geblieben. Wurde etwas früher Geschehenes ihrer Erinnerung wiedergegeben, so war ein Erwachen ihres Geistes möglich. Da hatte Doctor Zander vollständig recht. Und so etwas Früheres waren doch die beiden bekannten Gesichter, welche sie jetzt sehen sollte, falls die Operation eine gelungene gewesen war.
    Der Arzt schob einen Stuhl gerade unter die Thüröffnung und setzte die Kranke darauf, so daß sie ihrem Sohne sich gerade gegenüber befand. Dann begann er, die Binde zu lösen.
    »Also bitte, keine Unvorsichtigkeit!« flüsterte er.
    Dann entfernte er die letzte Hülle.
    Frau Fels hielt die Augen noch eine kurze Weile geschlossen. Dann öffnete sie die Lider. Augenblicklich fuhr sie mit beiden Händen darnach.
    »Gott!« stieß sie hervor.
    Das war ein Wort, welches sie seit langer Zeit nicht gesprochen hatte.
    Sie ließ die Hände wieder sinken und richtete den Blick vorsichtig und blinzelnd auf den Sohn.
    »Wer – was – – ach, ach!« stieß sie hervor, und dann hielt sie sich die Augen zu.
    Fels hatte mit den Thränen zu kämpfen. Der Arzt aber gab ihm einen strengen Wink, sich zu beherrschen. Jetzt hielt sie die Hände wie einen Schirm über die Augen und betrachtete den Sohn.
    »Wer – ach wer – wer ist – ist – –?«
    Weiter sagte sie nichts. Sie legte die Hände wieder auf die Augen. Zander band ihr die eine Binde wieder vor. Sie ließ es ganz ruhig geschehen. Er gab Marie und Fels einen Wink, und Beide wechselten ihre Plätze.
    »Sie kämpft mit ihrer Erinnerung. Der Geist will erwachen, ist aber noch zu schwach dazu,« flüsterte der Arzt. »Geben wir ihr also, um sie zu unterstützen, ein zweites, bekanntes Bild.«
    Er trat wieder hinter die Kranke zurück und entfernte langsam die Binde. Sie öffnete wieder, wie vorhin die Augen, fuhr schnell mit den Händen nach denselben, ließ sie wieder sinken, betrachtete Marie, öffnete und schloß die Augen wiederholt und athmete dabei tief und ängstlich auf.
    Dann, mit einem Male, öffnete sie die Augen groß und weit. Ihr Blick wurde bewußt und bewußter, und jetzt rief sie, die Hände verwundert zusammenschlagend: »Marie!«
    Das Mädchen antwortete nicht.
    »Marie!«
    Abermals keine Antwort.
    »Marie, so rede doch!«
    Der Arzt nickte zustimmend mit dem Kopfe, und darum antwortete sie mit dem Namen:
    »Frau Fels!«
    »Gott sei Dank! Ich dachte, Du wärst todt. Du warst still und stumm wie eine Leiche.«
    »Meine liebe, gute Frau Fels!« stieß Marie hervor, die ihre Rührung kaum mehr beherrschen konnte. »Sie kennen mich also?«
    »Dich? Kind, ich werde doch Dich kennen! Ich habe Durst, gieb mir einmal dort vom –«
    Sie hielt inne. Sie hatte sich zu Hause geglaubt, und nun fiel ihr Blick auf eine unbekannte Umgebung. Darüber erschrak sie.
    »Mein Gott, wo bin ich denn?« fragte sie.
    Jetzt zeigte sich in Zander’s Gesicht eine große, fast angstvolle Spannung. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Jetzt konnte ihr erwachender Geist wieder in Nacht versinken.
    »Wo bin ich?« fragte sie.
    »Hier,« meinte Marie, welche nicht

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