Der verlorne Sohn
angegeben, ich aber kenne denselben. Er hat gar nichts mehr von mir wissen, mich gar nicht mehr sehen wollen.«
»Hm! Vielleicht ist es dennoch anders.«
»Nein. Du kannst Dir nun ungefähr denken, wie mir zu Muthe wurde, als ich ihn vor kurzer Zeit bei Euch traf. Ich hätte gleich fortgehen mögen!«
»Glücklicher Weise ist das nicht geschehen. Auch er ist geblieben. Das ist doch ein Zeichen, daß Du Unrecht hast, wenn Du denkst, daß er gar nichts von Dir wissen will.«
»Er bleibt doch nur, um nicht unhöflich zu sein. Also ist es gewiß, daß auch er heute kommt?«
»Ja. Er ist Anton’s bester Freund und darf deshalb bei unserer Verlobung unmöglich fehlen.«
»Ich würde davonbleiben, wenn ich nicht Deine Freundin wäre.«
»Du nimmst die ganze Angelegenheit zu tragisch.«
»O nein. Denke nur an Das, was später geschehen ist. Wie bin ich in Rollenburg behandelt worden!«
»Unschuldig!«
»Das ändert an der Sache nichts.«
»Wer weiß, ob er es erfahren hat!«
»Der? Ein Polizist? Ein Geheimpolizist? Alle Welt weiß es ja! Es wird ja als Criminalfall vor Gericht verhandelt!«
»Und dennoch darfst Du es Dir nicht so zu Herzen nehmen. Denke, wie es mir ergangen ist. Ich habe Dir erzählt, daß ich damals vor Weihnachten in die Weinstube gelockt worden bin. Anton weiß es, und doch fällt es ihm gar nicht ein, es mir anzurechnen. Man kann doch nicht die Folgen eines Ereignisses, an welchem man unschuldig ist, auf sich nehmen. Komm, hier wohnt der Conditor. Wir wollen diese dummen Gedanken lassen; es giebt heute ja weit Besseres zu thun!«
Als die Beiden dann des Wachtmeisters Wohnung erreichten, fanden sie die beiden Polizisten anwesend. Anton erklärte, daß er beim Pfarrer gewesen sei, daß verschiedene Papiere gefordert würden und daß auch Anna mit dem Vater zum Pfarrer kommen müßte, um ihre Zustimmung zu geben. Während dieser geschäftlichen Verhandlungen bekam Emilie ihre Unbefangenheit wieder, welche ihr abhanden gekommen war, als sie bemerkt hatte, daß der zugleich Gefürchtete und Geliebte schon anwesend war.
Die kleine Versammlung wurde recht munter, zumal Anton für Wein gesorgt hatte. Die beiden Köhlerleute trugen nicht wenig dazu bei und versicherten ein über das andere Mal, daß sie diesen Abend nicht vergessen würden in ihrem ganzen Leben.
Es war bereits gegen Mitternacht, als Emilie erklärte, daß sie nun aufbrechen müsse: Sie wurde gebeten, noch zu bleiben, ließ sich aber nicht halten. Als sie sich erhoben hatte, stand auch Adolf von seine Stuhle auf.
»Was? Auch Du willst fort?« fragte Anton.
»Ja. Die Kette ist nun doch gesprengt, da Fräulein Werner geht. Uebrigens wird es Dir doch wohl nicht unlieb sein, wenn auch ich mich entferne.«
»Warum das?«
»Getheiltes Glück ist halbes Glück.«
»Ach so!«
»Ihr werdet Euch genug zu sagen haben, wobei Ihr keinen Anderen braucht. Oder guckt Ihr Euch nur so im Stillen an. Es soll Liebesleute geben, die sich stundenlang in das Gesicht sehen, ohne ein Wort dabei zu sprechen, und doch ganz selig sind. Versucht es heute einmal!«
Die Beiden verabschiedeten sich. Unten an der Hausthür ging eigentlich ihr Weg aus einander. Emilie hatte links, Adolf aber rechts zu gehen. Was den Letzteren betraf, so war er keineswegs mit Anton zu vergleichen, dem die Liebe den Muth genommen hatte. Er fragte, ob er Emilie begleiten dürfe, und sie gab ihm ihre Einwilligung, wenn auch mit zagendem Herzen. Als sie zunächst eine kurze Strecke schweigend neben einander gegangen waren, fragte er:»Erinnern Sie sich wohl noch eines Abends, an welchem ich ebenso wie jetzt an Ihrer Seite ging?«
»Ja,« antwortete sie.
»Darf es ebenso sein wie damals?«
Er nahm ihren Arm, und sie ließ es geschehen. Er sagte:
»Nicht wahr, damals durfte ich Sie führen?«
»Es kann sein.«
»Ah, Sie erinnern sich nicht mehr genau?«
»Nein.«
»Dann ist Ihnen meine Begleitung jedenfalls sehr gleichgiltig gewesen?«
Sie antwortete nicht. Darum fuhr er fort:
»Ich dachte damals, daß ich Sie recht oft wiedersehen würde; ich hatte mich darauf gefreut, aber leider ist es nicht geschehen.«
Sie seufzte leise, doch hörte er es.
»Wissen Sie vielleicht noch, Fräulein Werner, wie gern ich an meinem Fenster stand und zu Ihnen hinüberblickte?«
»Ich sah Sie allerdings zuweilen dort.«
»Und plötzlich war ich fort!«
»Ja,« hauchte sie. Er war ja ihretwegen fortgegangen.
»Das hatte seinen Grund, den ich Ihnen heute sagen will, obgleich man von
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