Der verlorne Sohn
sondern nach der Krankenstation geschafft werden müsse.
»Dort aber sind die beiden Leichen,« meinte der Wachtmeister.
»Die müssen eben heraus.«
»Doch wohin?«
»Nach dem Kirchhofe, in’s Todtenhaus.«
»Das hat der Herr Staatsanwalt verboten.«
»Ach, Unsinn! Ich bin Arzt, und hier handelt es sich um Krankheit und Tod. Ich muß wissen, ob Einer todt ist oder nicht. Und wenn ich bestimme, daß ein Kranker nach der Station geschafft werden soll, so hat das zu gelten, und man hat zu gehorchen!«
»Thut mir leid, Herr Doctor! Ich habe mich allerdings nach dem Herrn Staatsanwalt zu richten.«
»Schön! Ich werde gleich selbst zu ihm laufen. Ich will doch sehen, wer hier gilt, dieser Doctor Zander oder ich!«
Als er nach einiger Zeit wiederkam, war der Staatsanwalt bei ihm. Beide begaben sich mit dem Wachtmeister nach der Krankenstation, wo der Arzt die beiden Leichen noch einmal untersuchte.
»Es ist lächerlich, hier an dem Tode zu zweifeln,« sagte der. »Wer da glaubt, daß in diesen beiden Körpern noch Leben sei, der ist geradezu wahnsinnig.«
»Hm!« meinte der Anwalt. »Muß denn der Neuerkrankte wirklich hierher?«
»Ja. Ich kann ihn nicht in der Zelle lassen.«
»So müssen allerdings diese Leichen fort.«
»Ich muß sehr darauf bestehen!«
»Aber wohin?«
»Nach dem Gottesacker natürlich!«
»Das auf keinen Fall. Aus unserem Gewahrsam gebe ich sie doch noch nicht.«
»Sie glauben also diesem Doctor Zander?«
»Ich glaube nichts, hier handelt es sich nicht um Glauben oder Nichtglauben, sondern hier handelt es sich um meine Pflicht, und diese muß ich erfüllen. Sie besteht in diesem Falle in der Anwendung der äußersten Vorsicht, die ich nicht versäumen werde.«
»So machen Sie, was Sie wollen! Ich aber muß auf die Entfernung dieser Leichen bestehen.«
»Dazu bin ich ja bereit. Herr Wachtmeister, ist im Kohlengewölbe Platz?«
»Ja.«
»Wie steht es da mit dem Verschlusse?«
»O, der ist sicher. Eine starke Thür, eine dicke Eisenstange davor und ein Hängeschloß, welches mir sicher Niemand ohne meine Erlaubniß öffnet.«
»Und Fenster?«
»Die giebt es dort gar nicht, sondern nur zwei Luftlöcher, die ein nothdürftiges Licht einlassen.«
»Schön! Uebrigens liegt das Kohlengewölbe im Gefängsnißhofe, innerhalb der Mauer. Die Leichen sind also dort ganz ebenso untergebracht wie hier.«
»Und,« fügte der Arzt in ironischem Tone bei, »Sie können ja dort ganz auch so stündlich nachsehen lassen, ob sie vielleicht davongelaufen sind!«
»Das werde ich allerdings thun lassen. Herr Wachtmeister, besorgen Sie das Alles.«
Nach kurzer Zeit waren die Leichen in dem Kohlengewölbe untergebracht. Dieses Letztere war nicht sehr groß und hatte dicke Steinmauern.
Man hatte zwei einfache Holzbänke hineingestellt und die Todten darauf gelegt. Als nach einiger Zeit der Staatsanwalt nachsah, erklärte er sich zufriedengestellt, befahl aber trotzdem, daß einer der beiden Schließer alle Stunden nachzusehen habe, ob vielleicht eine Veränderung eingetreten sei.
Dies geschah denn auch. Bei jedem Stundenschlag wurde die Thür geöffnet und einer der Genannten trat herein, um sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei.
Es war kurz nach ein Uhr Mittags, da gab es in dem Kohlengewölbe ein Geräusch. Hatte eine herabfallende Kohle geraschelt, oder war das ein rasselnder Athemzug gewesen? Es war einige Zeit lang ruhig, dann gab es ein halblautes Räuspern, dem ein kräftiges Gähnen folgte, und nun begann sich die Leiche des frommen Schusters zu bewegen.
Er schob das Tuch von sich, in welches er eingewickelt war, und richtete sich in sitzende Stellung empor.
»Donnerwetter,« murmelte er, um sich blickend. »Wo bin ich denn eigentlich? Brrr! Hier eine Leiche! Und ich – ach, ich auch als Leiche! Was ist denn das?«
Er sann und sann. Endlich wurde die Erinnerung wach. Er konnte sich besinnen.
»Richtig, richtig! Ich habe ja Gift genommen, und ich bin gestorben! Ah! Das war ein Wagniß! Aber dieser alte Apotheker ist nicht nur ein tüchtiger Giftmischer, sondern auch ein wahrheitsliebender Mann. Ich bin in Wirklichkeit wieder lebendig geworden. Da liegt auch er. Will doch einmal nachsehen.«
Er zog dem Apotheker das Tuch vom Gesichte und betastete das Letztere.
»Kalt, eiskalt. Er ist noch todt. Hu! Das ist eigentlich schaurig. Wenn er nicht erwachte! Wenn er todt bliebe! Aber nein, er hat ja das Gift später genommen als ich. Er wird also auch später aufwachen. Wo aber
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