Der verlorne Sohn
Niemand bemerken. Haben Sie es schlagen hören?«
»Wenn es wieder schlägt, ist es fünf Uhr.«
»Da müssen wir uns noch ziemlich lange Zeit gedulden, fatal! Und kalt ist es hier!«
»Sagten Sie nicht vorhin, daß wir wohl Geld bekommen würden?«
»Ja. Wenn Sie für später sorgen, will ich für heute sorgen. Wir gehen von hier aus direct zu mir. Dort ziehen wir uns schnell an, und ich nehme zu mir, was meine Leute an Geld bei sich haben. Bis Hirschenau kommen wir da ganz gewiß.«
»Man wird uns doch nicht auf dem Wege nach Ihrer Wohnung aufhalten?«
»O nein. Es wird ja kein Mensch ahnen, wer wir sind. Das macht mir keine Sorge. Die Hauptsache ist, hier zum Thore hinaus. Sind wir draußen, so haben wir gewonnen. Ergreift man uns aber doch, na, so ist unser Schicksal eben auch nicht verschlimmert. Zu hoffen haben wir nichts mehr.« – –Die Zeit verging; der Tag neigte sich zu Ende, und es wurde dunkel. Gar nicht lange nach der Dämmerung kam eine Droschke am Gerichtsamte vorgefahren, aus welcher der Fürst mit Doctor Zander stieg. Beide begaben sich in die Expedition des Staatsanwaltes. Als dieser sie erblickte, sprang er auf und sagte: »Sie scheinen echauffirt. Ist etwas geschehen?«
»Hoffentlich noch nicht,« antwortete der Fürst. »Soeben kommt Herr Doctor Zander zu mir und sagt, daß das Blutwasser, welches er untersucht habe, ein Alkaloid enthalte, dessen Namen er zwar noch nicht bestimmen könne, welches aber nie im Blute des Menschen vorkomme und sein ganzes Bedenken errege. Wir haben uns sogleich zu Ihnen begeben. Hoffentlich ist alles in Ordnung, Herr Staatsanwalt!«
»Alles, Alles.«
»Die Todten befinden sich in der Krankenstation?«
»Nein, sondern im Kohlengewölbe.«
»Ah! Warum das?«
Der Anwalt erzählte ihnen wie es gekommen war, daß er die Leichen hatte translociren lassen.
»Liegen sie da sicher?« fragte der Fürst.
»So sicher wie in der Station.«
»Dürfen wir sie einmal sehen?«
»Gewiß. Ich gehe mit.«
Als sie durch den Zellengang schritten, trafen sie auf den Gerichtsarzt, welcher sich ironisch verbeugte und dabei fragte: »Begeben sich die Herren vielleicht zur Leichenschau?«
»Ja,« antwortete der Anwalt. »Wollen Sie mit?«
»Gewiß. Ich möchte gern dabei sein, wenn Todte auferstehen. Hat der Herr College vielleicht den Tropfen des ewigen Lebens im Blute entdeckt?«
Er erhielt keine Antwort; sie schritten weiter. Sie trafen auf den Wachtmeister, welcher sich ihnen anschloß. Von ihm erfuhren sie, daß die Revision stündlich stattgefunden habe.
»Es ist mir stets gemeldet worden, daß Alles in Ordnung sei,« sagte er.
»Ich begreife auch gar nicht, von welcher Unordnung die Rede sein könnte,« bemerkte der Gerichtsarzt. »Lassen Sie eine Laterne anbrennen. Es ist finster im Hofe.«
Der Wachtmeister schellte den beiden Schließern. Es kam nur der Eine. Auf die Frage an ihn, wo sich sein College befinde, antwortete er: »Bei den Leichen.«
»Das ist unmöglich,« sagte der Wachtmeister. »Ich habe befohlen, daß die Revision mit jedem Stundenschlage stattfinden soll, jetzt ist es aber schon wieder halb vorüber.«
»Er ging, als es schlug, ist aber noch nicht wieder da.«
»So ist wohl gar etwas los?«
»Lassen Sie uns eilen,« sagte der Fürst, dem die Sache nicht recht geheuer vorkam. »Vorwärts, meine Herren!«
Als sie in den Hof kamen, sagte der Wachtmeister:
»Er ist nicht drüben bei den Leichen.«
»Woher erkennen Sie das?«
»Er hat jedenfalls die Laterne mit. Man würde das Licht derselben durch die Luftlöcher bemerken.«
Er verdoppelte seine Schritte und war also der Erste, der das Kohlengewölbe erreichte.
»Es ist auf,« rief er bestürzt.
»So ist er drin,« meinte der Gerichtsarzt ruhig.
Einer drängte den Anderen hinein. Der Wachtmeister hob die Laterne empor und leuchtete nach den Bänken hin.
»Herrgott! Es ist nur noch eine Leiche da!« sagte er.
»Wo ist die andere?« fragte der Fürst.
»Fort – –«
»Das sieht man. Welche ist fort?«
Er trat an die Bank, auf welcher der unbewegliche Körper lag, eingewickelt in – zwei Betttücher, wie sich zeigte. Der Zipfel des einen Tuches war dem Manne als Knebel in den Mund gewürgt; mit den drei anderen Zipfeln aber hatte man ihm Hände und Füße zusammengebunden. Der Wachtmeister leuchtete ihm in’s Gesicht.
»Der Schließer!« rief er entsetzt. »Und todt!«
»Doctor Zander, sehen Sie nach, ob noch Leben in ihm ist,« sagte der Fürst. »Ich komme gleich
Weitere Kostenlose Bücher