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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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getroffen, sie vollständig von der Außenwelt abzusondern und jedes Entkommen eines derselben zu verhüten.
    Eigentlich begann die Untersuchung erst jetzt. Welchen Verlauf sie nahm und welche Ergebnisse sie brachte, darüber wurde das tiefste Stillschweigen beobachtet. Aber die Bevölkerung des ganzen Landes und weit darüber hinaus befand sich in einer Spannung, welche das Warten auf den Schluß der Voruntersuchung fast quälend machte. – –Eines Abends um diese Zeit war der Oberst von Hellenbach nebst seiner Gemahlin zu Hof geladen. Fanny, ihre Tochter, war in das Theater gefahren, wo eine der beliebtesten Opern gegeben wurde, und es war ganz natürlich, das Robert Bertram sie begleitet hatte.
    Er war jetzt fast so viel in dem Hellenbach’schen Hause wie in dem Häuschen in der Siegesstraße.
    Er als Dichter war ganz auf der Scene; Fanny aber musterte das Publikum hin und wieder durch das Opernglas. Da, während einer Gesangspause, berührte sie seinen Arm und sagte: »Bitte, sehen Sie einmal zweiten Rang, Seitenloge, die Dame im schwarzen Anzuge!«
    »Interessiren Sie sich für sie?« fragte er gleichgiltig, ohne den Blick nach dem bezeichneten Platz zu erheben.
    »Sehr!«
    Jetzt sah er empor, zuckte aber sofort zusammen. Zwei nachtdunkle und doch glühende Augen waren mit einem Blicke, der ihn schaudern ließ, auf ihn gerichtet.
    »Judith!« sagte er.
    »Ja, es ist die Jüdin,« meinte Fanny. »Ich beobachte sie bereits seit längerer Zeit. Sie hat den Blick noch keine einzige Secunde von uns gewendet. Selbst wenn sie ihrer Nachbarin eine hastige Bemerkung zuraunt, blickt sie nicht von uns hinweg. Man möchte sich wirklich vor ihr fürchten. Es liegt ein Haß in ihrem Blicke, der zu Allem fähig ist. Warum aber haßt sie mich?«
    Robert antwortete nicht. Er kannte gar wohl den Grund dieses bodenlosen Hasses.
    »Sie war es ja auch, die damals mein Pferd so scheu machte, daß es mich abwarf. Mir graut vor ihr.«
    Sie zog die Schultern empor, schüttelte sich und wendete sich nach den anderen Seite.
    Judith war mit ihrer Freundin Sarah Rubinenthal in das Theater gegangen, nicht etwa weil sie es vorher beabsichtigt hatten, sondern weil sie am Fenster gestanden hatten, als Fanny und Robert in den Wagen gestiegen waren. An Fanny’s Toilette war zu erkennen gewesen, daß sie das Theater besuchen werde.
    Nun saß die schöne, vor Liebe und Eifersucht glühende Jüdin in ihrer Loge und verwendete keinen Blick von den Beiden. Zwar war Robert’s Aufmerksamkeit während der Vorstellung auf die Bühne gerichtet; aber vor dem Beginn und in den Pausen beschäftigte er sich doch mit Fanny. Und da war aus jeder seiner Mienen und aus jedem seiner Blicke zu lesen, daß seine ganze Seele in der wunderbar schönen Nachbarin aufgehe.
    Judith beobachtete das und raunte ihrer Nachbarin die wüthendsten Bemerkungen zu.
    »Sieh’ diesen Blick!« sagte sie. »Er glüht vor Liebe. Er könnte tausendmal für sie sterben, aber nicht eine Minute für mich leben. O, dieses Mädchen, wie hasse, hasse, hasse ich es!«
    Und dann wieder:
    »Jetzt schaut sie ihn an! Sie beachtet ihn, ohne daß er es bemerkt! Sie studirt sein Gesicht, sein schönes Gesicht mit den reinen, edlen, geistreichen, schwermüthigen Zügen. Wie ihr Auge strahlt! Wie ihr Mund lächelt! Wie entzückt und in ihn versunken sie ist! Jetzt dreht er sich zu ihr. Sein Auge ertappt das ihrige. Sie erröthet, er auch. Sie wenden sich wieder ab, aber mit welchen Gesichtern! Auf den ihrigen strahlen zehn Himmel und auf dem seinigen zehn Seligkeiten.«
    »Sieh doch nicht hin!« meinte die Buckelige.
    »Nicht hinsehen? Bist Du toll! Muß ich nicht hinsehen immer und immer wieder? Ist nicht meine Seele gebunden und gekettet an seine Seele und mein Leben an sein Leben! Hätte sie doch damals auf der Straße den Hals gebrochen! Aber sie wird ihn noch brechen, sie soll und muß ihn noch brechen!«
    »Willst Du ihr ihn brechen?«
    »Wenn ich kann, so thue ich es! Sie sieht auch uns. Sie belorgnettirt mich. Jetzt mach sie ihn auf mich aufmerksam. Er sieht herauf. Er erkennt mich. Sein Blick ist wie Eis. Er dreht sich gleichgiltig ab. Und sie? Gott meiner Väter, sie schauert vor mir! Ist sie etwa reicher als ich? Ist sie schöner? Schöner – ah, schöner! Das ist der Gedanke; das ist er! Und da sie vor mir schaudert, soll man auch vor ihr schaudern! Ich wollte es nicht thun. Nun aber thue ich es!«
    Sie stand auf.
    »Wohin?« fragte die Freundin.
    »Nach Hause. Ich habe Kopfweh.

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