Der verlorne Sohn
lange dauerte, öffnete er ihr das Kleid, damit die Brust freier athmen könne. Das half. Ihr Busen bewegte sich; er fühlte das mit der Hand. Und bald hörte er auch ihren Athem gehen.
Er dachte nicht daran, sie aus seiner Umarmung zu lassen. Er vergaß Alles. Er sah sie vor sich, so schön, so verführerisch, und er fühlte nichts Anderes als nur das Verlangen, dieses Glück vollständig auszukosten.
Da begann sie, sich zu bewegen. Ihre Augen blieben geschlossen, aber ihre Lippen bewegten sich.
»Wo bin ich?« fragte sie leise.
»Bei mir,« antwortete er.
»Bei Dir!« flüsterte sie.
Dabei flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht. Das riß ihn hin, so daß er seinen Mund auf den ihrigen legte, um sie zu küssen und immer wieder zu küssen.
»Du Lieber, Lieber!« hauchte sie.
Er fühlte, daß sie seine Küsse erwiderte. Das raubte ihm fast die Besinnung. Er hätte laut aufjubeln mögen, that es aber doch nicht. Sie war noch nicht völlig bei Besinnung. Sie hielt ihn jedenfalls für einen Anderen, und er wollte diese für ihn so angenehme Täuschung nicht gewaltsam beendigen.
Endlich schlug sie langsam die Augen auf. Ihr Blick ruhte erst ganz ausdrucklos in seinem Gesichte; dann kam Leben in das Auge. Sie erkannte ihn. Sie schrak zusammen und wollte sich ihm entziehen. Er aber hielt sie fest.
»Wer – wer sind Sie?« fragte sie ungewiß.
»Ich bin es, ich!« antwortete er, sie wiederholt an sich drückend.
»Wo – wo bin ich?«
Ihr Blick irrte erstaunt in der Stube umher.
»Bei mir, Du herrliches Mädchen!«
»Bei Dir – bei Ihnen! Herrgott!«
Jetzt fuhr sie auf, um sich von ihm los zu machen.
»Nein,« sagte er, »nein! Ich lasse Sie nicht! Sie müssen liegen bleiben, hier an meinem Herzen!«
»Lassen Sie mich! Lassen Sie mich gehen!«
Sie sträubte sich; sie gab sich scheinbar alle Mühe, von ihm loszukommen – vergebens. Seine Kraft war der ihrigen überlegen. Sie wurde matt und matter und ließ endlich die sich nutzlos wehrenden Arme sinken.
Er benutzte diese scheinbare Ergebung zu allen Zärtlichkeiten. Sie ließ dieselben über sich ergehen. Plötzlich aber bemerkte sie, daß er ihr Kleid geöffnet hatte. Da schob sie ihn mit ungeahnter Kraft von sich, so daß er seine Arme von ihr lassen mußte.
»Was ist denn mit mir?« fragte sie. »Was ist geschehen? Träume ich denn, oder habe ich geträumt?«
»Es ist kein Traum, sondern es ist Wirklichkeit,« antwortete er. »O, Geliebte, wie glücklich fühle ich mich!«
Sie starrte ihn entsetzt an.
»Geliebte?« fragte sie.
»Ja, Du bist meine Heißgeliebte! Dir gehört mein Leben und Alles, was ich habe und was ich bin.«
»Ist’s möglich! Wo bin ich? Wie kam ich hierher zu Ihnen? Sie haben mich – –«
Sie wollte aufspringen, sank aber mit einem Schmerzesschrei auf das Sopha zurück.
»Gott, mein Fuß!«
»Schmerzt er noch?« fragte er zärtlich.
»Jetzt, jetzt weiß ich es. Dieser Schmerz bringt mich zum Bewußtsein. Ich hatte mir den Fuß vertreten – –«
»Und Sie kamen zu mir, um mich um meine Hilfe zu bitten. Ich führte Sie hierher. Sie wurden ohnmächtig, und ich habe Ihnen unterdessen einen Umschlag gemacht.«
Sie zuckte vor Schreck zusammen.
»Umschlag? Sie? Ein Herr! O, Sie haben sogar den Strumpf entfernt, wie ich bemerke!«
»Mußte ich nicht?«
»Nein, Sie mußten nicht! Und dann habe ich gefühlt – gestehen Sie, Sie haben mich geküßt!«
»Ja,« meinte er aufrichtig.
Ihr Auge blitzte vor Zorn.
»Welch eine Frechheit!«
»Verzeihung! Wer kann Ihnen widerstehen!«
»Sie haben mein Vertrauen mißbraucht. Das ist schändlich. Und hier – ah, wer hat Ihnen erlaubt, das Kleid zu öffnen?«
»Sie waren ohnmächtig; ich mußte Ihnen Luft verschaffen.«
»Lieber hätten sie mich sterben lassen sollen! Was soll ich denken; was soll ich thun! Welch eine Beleidigung! Mein Vater wird mich rächen, er mag Genugthuung verlangen. Ich eile sofort nach – o weh, o weh!«
Sie hatte abermals aufspringen wollen, brach jedoch wieder zusammen.
»Bleiben Sie ruhig sitzen!« sagte er. »Sie können ja doch nicht fort. Ich aber werde gehen, um Hilfe, um einen Wagen für Sie zu holen.«
»Nein, bleiben Sie! Ich mag nicht allein hier sein. Ich fürchte mich zu Tode.«
»Was aber soll ich da bei Ihnen? Sie zürnen doch!«
»Habe ich nicht Ursache dazu? Ehe ich mich hierher führen ließ, sagten Sie, Sie wollten tausend Eide schwören, daß ich nichts zu befürchten habe, und nun haben Sie mich betrogen und mir
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