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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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lebt!«
    Da erklang es leise von da her, wo Winter lag:
    »Ich – ich – lebe.«
    »Er spricht!« sagte Hagenau. »Sehen wir nach!«
    Er trat zu dem Einsiedler, welcher auf der Diele lag, mit dem Rücken, in welchem das Messer stak, nach oben gerichtet. Er bog sich nieder und fragte ihn: »Sie leben? Sie hören, was wir sprechen?«
    »Ja.«
    »Wissen Sie, was geschehen ist?«
    »Ja.«
    »So haben Sie Ihre volle Besinnung?«
    »Vollkommen.«
    Er antwortete allerdings nicht geläufig, sondern langsam und so Athem holend, daß es fast wie Pfeifen klang.
    »Wollen Sie nicht aufstehen?« fuhr Hagenau fort. »Kommen Sie, ich will Ihnen helfen.«
    »Ich kann nicht, es geht nicht, ich kann kein Glied bewegen. Das Messer –«
    »Sapperment! Ich bin kein Wundarzt und Quacksalber, aber vielleicht hat das Messer gerade einen Bewegungsnerv getroffen oder so etwas derartiges. Wir wollen es doch herausziehen.«
    »Nein!« bat der Verwundete. »Dann ist’s aus, dann verblute ich mich. Oh, dieser Schuft, dieser – dieser – wo ist seine Tochter?«
    »Hier sitzt sie.«
    »Dann wünsche ich, daß der tausendfache Teufel –«
    Er zwang sich mit ganzer Gewalt zu einer Bewegung, er brachte sie nicht fertig. Die Folge dieser Anstrengung war ein Blutstrom, welcher ihm aus dem Munde quoll und ihn fast erstickte.
    Die drei Männer eilten herbei, um ihn zu unterstützen. Er brachte längere Zeit kein Wort hervor. Sein Blick wurde starr, sein Gesicht färbte sich braunroth. Nach und nach erholte er sich wieder, aber so deutlich wie vorhin vermochte er nicht wieder zu sprechen. Sie verstanden kaum, was er flüsterte: »Telegraph – Telegraph – schnell – schnell!«
    »Wir sollen telegraphiren?« fragte Holm.
    »Ja,« hauchte er.
    »Wohin?«
    »Residenz.«
    »An wen?«
    »Hauck – Paukenschläger.«
    »Den kenne ich!« sagte Doctor Holm überrascht. »Was sollen wir ihm telegraphiren?«
    »Gleich kommen – ich heiße nicht Winter – sondern auch – auch Hauck – ah!«
    Nach dem vorhergehenden Blutverluste hatte ihn das Sprechen zu sehr angestrengt; er verlor die Besinnung. Die Drei traten zusammen, um von Theodolinde nicht gehört zu werden. Holm fragte den Lieutenant: »Was thun wir mit der Gefangenen und ihrem Vater?«
    »Beide bleiben hier, das wird das Beste sein. Sie müssen warten, bis die Gerichte kommen. Es soll hier Alles in dem Zustande erhalten bleiben, in welchem wir es gefunden haben. Wir müssen einmal telegraphiren und depeschiren dabei gleich mit an die Staatsanwaltschaft.«
    »Wer führt die Aufsicht hier bis dahin?«
    »Das mag Herr Bertram übernehmen. Ich habe einige handfeste Kerls mitgebracht, welche unten warten. Ich muß nach Hause. Ich fühle, daß meine Wunde denn doch nicht so ganz ohne ist. Da werde ich einen Boten mit der Depesche nach dem Telegraphenbüro schicken.«
    »Lassen Sie mich das Telegramm verfassen. Ich weiß, an wen es gerichtet werden und wie es lauten muß.«
    »Thun Sie es.«
    Holm riß ein Blatt aus seinem Notizbuche und schrieb:
     
    »Dem Fürsten von Befour.
     
    Sofort Extrazug – nach Grünbach kommen, Station Wildau – von da besorge ich Pferde. Robert Bertram’s Kette geraubt – mehrere Gefangene – Staatsanwalt, Assessor Schubert und Paukenschläger Hauck mitbringen.«
     
    Alles Uebrige wurde in Eile besprochen, dann wurden die Wächter heraufgeholt, wobei allerdings der Hund nur schwer zur Ruhe gebracht werden konnte. Hagenau begab sich mit Holm nach dem Schlosse zurück.
    Der Letztere wurde von Braut und Schwester mit außerordentlicher Freude empfangen. Dabei bemerkten sie gar nicht, daß der Oberlieutenant ganz entkräftet auf das Sopha sank. Erst nach einer Weile fiel Hilda’s Blick auf sein blutleeres, todtenbleiches Angesicht. Sie stieß einen Laut des Schreckes aus, eilte zu ihm, ergriff seine Hand und fragte: »Was ist mit Ihnen, Herr von Hagenau? Befinden Sie sich schlimmer?«
    Er zwang sich zu einem Lächeln und antwortete:
    »Es war mir wunderlich – so schwach. Aber jetzt, da Sie meine Hand halten, bin ich stark, sehr stark.«
    »O nein! Sie sind sehr schwach. Sie haben sich zu sehr angegriffen. Sie hätten uns gehorchen und nicht nach dem Thurme gehen sollen.«
    »Hm, ja! Als ich dort so hoch am Fenster herabsprang, da ist etwas in der Wunde geschehen. Ich fühlte es gleich. Man hat hier Pferde und Wagen. Ich werde mich nach Hause bringen lassen. Wir haben da auch so einen alten Diener Daniel wie hier, der wird mich pflegen.«
    »Ein Diener? Nein. Ich gehe

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