Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
seine bleichen Züge mehr, als man hätte glauben sollen. Er lag lange, lange still lächelnd und mit geschlossenen Augen da. Er wußte wohl selbst gar nicht, daß er immer leise flüsterte: »Sie sorgt sich um mich – oh, um mich, um mich!«
    Er schlief wieder ein.
    Gegen Morgen kam der Arzt. Er war unterdessen auf Schloß Grünbach und in dem Thurme gewesen. Er schickte Hilda fort, in das Zimmer, welches ihr angewiesen worden war, und untersuchte die Wunde zum zweiten Male. Dann hielt er es für nothwendig, den Vater Hagenau’s wecken zu lasen. Er begab sich zu ihm, um ihn vorzubereiten und ihm Alles zu erzählen. Dann entfernte er sich.
    Natürlich suchte dann der Vater den Sohn auf. Dieser ergänzte den Bericht des Arztes, wo derselbe lückenhaft war, und versicherte, daß er sich verhältnißmäßig ganz wohl fühle.
    »Welch ein Ereigniß!« sagte der Vater. »Jetzt müssen wir freilich verzichten?«
    »Auf was?«
    »Nun, Du kennst doch meine Absichten in Bezug auf den Tannensteiner und seine Tochter.«
    »Vater, danken wir Gott, daß mir dieses Frauenzimmer nicht gefallen hat. Dieses Volk hat selbst kein Geld. Nun ist er todt, die Dame aber mag im Zuchthause die Schloßherrin spielen.«
    »Beide haben es verdient. Und doch – doch – ah, ich erwarte heute wieder einen Wechsel! Mach, daß Du bald gesund wirst. Es ist wirklich wahr, es ist nicht anders: Nur eine reiche Heirath kann uns retten.«
    »Ich heirathe nicht oder arm, sehr arm.«
    »Du scherzest!«
    »Nein. Ich sage Dir aufrichtig, daß ich gewählt habe. Ich liebe, ich liebe wahr und innig, und ich glaube, daß ich wieder geliebt werde.«
    »Du? Wieder geliebt?« fragte der Vater ungläubig.
    »Ja. Das ist es ja eben, was mich so unendlich glücklich macht. Denke Dir: Der Kranich wird geliebt!«
    »Na, möglich ist ja Vieles!«
    »Ja. Sie sorgt sich um mich. Denke Dir! Sie ist besorgt um mich – o, o!«
    »Wer denn?«
    »Nun sie, Diejenige!«
    »Darf man denn nicht ihren Namen hören?«
    »O doch. Sie heißt Holm.«
    »Also nicht von Adel?«
    »Sehr sogar, sehr! Sie ist durch und durch adelig, obgleich sie kein Von vor ihrem Namen trägt.«
    »Du meinst also Herzensadel, Gesinnungsadel?«
    »Ja.«
    »Hm! Mein lieber Junge, Du kennst mich. Ich bin ein sehr nüchterner Character und da –«
    »Weiß – weiß, lieber Vater! Du bist nüchtern und ich bin berauscht.«
    »So scheint es.«
    »Sie ist aber auch herrlich! O, Hilda, Hilda!«
    Er faltete die Hände zusammen, wie zum Gebete, und richtete den seligen Blick nach der Decke.
    »Holm? Hilda?« fragte der Vater. »Ahne ich es?«
    »Ja. Laß Dir erzählen!«
    Der Vater blieb eine sehr lange Zeit bei dem Sohne. Als er ihn sodann verließ, hatte sein Gesicht ein sehr ernstes, keineswegs aber unglückliches Aussehen. Er fragte, wo man Fräulein Holm placirt habe, und suchte sie auf.
    Sie erröthete verlegen, als sie ihn eintreten sah. Sie war ja bei ihm eingedrungen, ohne ihn um Erlaubniß gefragt zu haben. Er sah es, er legte ihr die Hand auf den schönen Kopf und sagte: »Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, Fräulein Hilda! Sie haben mir heute Nacht meinen Sohn erhalten, indem Sie ihm das Leben retteten –«
    »O nein,« fiel sie schnell ein, »er war vielmehr unser Retter.«
    »Nein. Der Lauf des Gewehres war bereits auf ihn gerichtet, da fielen Sie dem Mörder in den Arm und hatten den Muth, mit ihm zu kämpfen. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Gott segne Sie! Sie haben sich des Verwundeten angenommen. Betrachten Sie dieses Haus als das Ihrige. Man wird Ihre Befehle respectiren.«
    Er ging.
    Was hatte das zu bedeuten? Das war mehr als die Höflichkeit der Gastfreundschaft. Sie sollte sich förmlich als Schloßherrin betrachten! Dieser Gedanke trieb ihr das Blut in die Wangen. Herrin auf Schloß Reitzenhain, Frau von Hagenau! Sie senkte das Köpfchen wieder und griff mit der Hand nach dem klopfenden Herzen.
    Ja, der Lieutenant war nicht schön, aber so lieb und gut. Welch ein Glück, dem Manne zeigen und beweisen zu können, daß man ihn nicht wegen so werthloser, vergänglicher Eigenschaften liebt!
    Am frühen Vormittage stellte sich Holm ein, um nach dem Verwundeten zu sehen. Er stellte sich natürlich zunächst dessen Vater vor, der ihn mit offenbarer Hochachtung empfing. Er stand bereits im Begriff, sich zu empfehlen, da bat der alte Herr ihn, noch für einige Augenblicke zu bleiben.
    »Ich möchte eine Angelegenheit berühren,« sagte er, »welche für mich von allergrößter Wichtigkeit

Weitere Kostenlose Bücher