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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wir handeln, also vorwärts!«
    Da flüsterte Holm:
    »Es geschieht etwas! Schnell hinunter! Wir legen die Leiter an das andere Fenster.«
    Eine Secunde später hatten sie den Erdboden erreicht und im nächsten Augenblicke lehnte die Leiter über der nächsten Fensteröffnung. Beide stiegen so schnell empor, wie es Ihnen möglich war, und blickten hinein.
    Sie sahen eine alte, mit Eselsfell beschlagene Truhe, wie sie im vorigen Jahrhundert im Gebrauch waren, daneben eine geöffnete Lade und eine offene Kiste. Was sich in diesen drei Behältern befand, konnten sie nicht sehen. Sie sahen nur, daß der Einsiedler mit der Hand auf dieselben zeigte und dabei ein stolzes, übermüthiges Lächeln sehen ließ. Theodolinde kam herbei und blickte in die Truhe. Sie sprach, aber man konnte von außen ihre Worte nicht verstehen.
    Auch ihr Vater trat hinzu. Die Lauscher hatten jetzt alle die drei Personen deutlich vor Augen. Der Freiherr, welcher zur linken Hand des Einsiedlers stand, sagte zu diesem Letzteren etwas, worauf Winter sich tief niederbeugte, um in die Lade zu langen.
    In diesem Augenblicke blitzte das Messer in der Hand des Tannensteiners; die Klinge fuhr dem Einsiedler in die Schulter. Der Getroffene stieß einen lauten, fürchterlichen Schrei aus.
    »Herrgott! Sie morden ihn!« rief Robert Bertram und zwar viel, viel lauter, als sich mit seiner Lauscherrolle in Einklang bringen ließ.
    »Warte, Hallunke!« antwortete Holm.
    »Er holt zum zweiten Male aus!«
    »Soll ihn aber nicht treffen!«
    Holm, welcher fest auf der Leiter stand, hatte gleich beim ersten Messerstoße das Gewehr von der Schulter gerissen und in Anschlag gebracht. Zugleich mit seinen Worten drückte er ab. Der Schuß krachte, und der Freiherr, welcher die Hand eben zum zweiten Stoße erhoben hatte, taumelte und stürzte dann, durch den Kopf geschossen, zu Boden.
    Theodolinde stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sank neben ihrem Vater nieder. Ihr Schrei war freilich nicht zu hören, er ging unter in einem lauten Klirren und Krachen. Holm hatte mit dem Gewehrkolben das ganze Fenster zertrümmert und mit sammt dem alten, morschen Rahmen in die Kammer geschlagen.
    »Hinein!« gebot er. »Vielleicht ist noch Hilfe möglich!«
    Er trat auf die Fensterbrüstung, zwängte sich hindurch und sprang in die Kammer. Bertram, welcher bis jetzt mit Händen und Füßen nach unten an den Leitersprossen gehangen hatte, schwang sich schnell auf die Leiter hinauf und folgte ihm augenblicklich. –Als der Freiherr den Entschluß gefaßt hatte, seine Tochter zu holen, um mit ihr zu fliehen, hatte er keine Zeit zu einer ausführlichen Erklärung oder Auseinandersetzung. Er konnte ihr nur sagen, daß Alles entdeckt sei und sie fliehen müßten. Er nahm sein Geld, welches er noch besaß, zu sich; sie raffte einige Werthsachen in ein Bündel zusammen und folgte ihm.
    Der Einsiedler war ihnen voraus; jetzt, indem sie ihm folgten, konnten sie mit einander sprechen.
    »Ich begreife Dich nicht,« sagte sie, vor eiligem Laufen fast athemlos. »Fliehen? Alles im Stiche lassen? Das Schloß, alle unsere Besitzungen!«
    »Ja, ja, wir müssen, wenn wir nicht in’s Zuchthaus wollen.«
    »Wer hat uns denn belauscht?«
    »Die beiden Kerls, welche mit uns in der Post saßen und die ich dann im Walde traf. Sie sind auf einer Leiter in das Nebenzimmer gestiegen.«
    Er erklärte ihr in aller Eile Alles, auch den Kampf und daß noch ein Dritter und sogar zwei Frauenzimmer dabei gewesen seien.
    »So sind diese Menschen Polizisten,« sagte die Tochter.
    »Jedenfalls. Sie sind uns schon von der Residenz aus gefolgt; sie müssen uns also bereits dort beobachtet und Alles erfahren und gewußt haben. Es bleibt uns gar nichts übrig, als Flucht auf Nimmerwiederkehr.«
    »Herr Gott! Aber Geld, Geld!«
    »Sei nicht dumm! Dieser Winter hat Geld!«
    »Ah, ja! Er ist ganz verschossen in mich. Er schafft Geld, und dann, dann –«
    Sie wollte ihren Gedanken nicht sofort Worte geben; aber ihr Vater errieth sie entweder oder hatte er ganz dieselbe Ansicht, denn er vervollständigte ihre Rede: »Und dann lassen wir ihn sitzen!«
    »Aber er wird mit wollen!«
    »Das kann er. Es wird uns zu jeder Zeit leicht sein, ihn zu verlassen.«
    »Oder – ah, wenn ich ein Mann wäre!«
    »Was dann?«
    »Er blieb hier und nur sein Geld ginge mit.«
    »Wird sich bedanken!«
    »Muß, muß! Ein Schuß! Ein Messerstich!«
    »Ah, so meinst Du es.«
    »Ja. Aber ich bin leider kein Mann und auch Du bist keiner. Auf Dich

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