Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
mit!«
    Sie sagte das in so entschlossenem Tone, als ob es sich ganz von selbst verstehe. Hagenau’s Blick bekam Leben, begann beinahe zu leuchten.
    »Sie wollen mit? Wirklich?« fragte er.
    »Ja. Ich bin es Ihnen schuldig. Wir haben Ihnen Veranlassung gegeben, mit uns zu gehen. Sie sind in Folge dessen verwundet worden. Sie haben keine Mutter, keine Schwester – ich fahre mit!«
    Er blickte zu ihrem Bruder hin und fragte:
    »Sie hören es, Herr Doctor. Was sagen Sie dazu?«
    »Sie hat Recht. Wären Sie nicht gekommen, so sähe es schlimm mit uns aus. Sie haben uns das Leben gerettet. Ihnen Pflege bieten, das ist so wenig, was wir thun können – leider! Ich hoffe, daß Sie das Anerbieten der Schwester nicht zurückweisen.«
    »Zurückweisen?« lächelte Hagenau ganz glücklich. »Das fällt mir nicht ein. Ich habe sehr viele Dummheiten begangen, diese aber wäre die allergrößte, und so will ich sie unterlassen. Wer aber führt dann hier im Schlosse die Aufsicht?«
    »Ich bleibe hier. Sie dürfen glauben, daß Alles geschehen wird, wie es geschehen soll. Aber die Depesche, welche Sie besorgen wollten, Herr Oberlieutenant?«
    »Wird besorgt, trotzdem ich verwundet bin, darauf können Sie sich verlassen.«
    Kurze Zeit später hielt ein Kutschwagen vor dem Thore. Hagenau stieg ein und Hilda setzte sich ihm gegenüber. Es wurde unterwegs kein Wort gesprochen. Erst als der Wagen im Hofe des Schlosses Reitzenhain hielt, hörte das Mädchen das erste Wort: »Was ist – wo sind wir?«
    »Daheim bei Ihnen, Herr Oberlieutenant,« antwortete sie.
    »Ah – so! – Verzeihen Sie! Ich muß wirklich schwächer sein, als ich angenommen habe. Ich weiß von der ganzen Fuhre nichts. Ich muß ohnmächtig gewesen sein. Und da, da ist es naß. Ich glaube, daß ich blute.«
    Niemand hatte von dem Vorhaben Hagenau’s gewußt. Die Bewohner des Schlosses schliefen. Der Portier kam schnell herbei und erhielt seine Befehle. Hagenau verbot, seinen Vater zu wecken; aber er schickte sofort nach dem Badearzte und sandte auch einen Boten mit der Depesche fort.
    Als der Verwundete in seinem Zimmer ankam und sich untersuchen ließ, zeigte es sich, daß sich der Verband gelockert hatte. Dann kam der Arzt, welcher die Wunde kunstgerecht behandelte. Er beruhigte den Kranken. Er sagte, die Wunde sei gar nicht gefährlich, nur sei der Blutverlust ein bedeutender gewesen. Es werde sich ein nicht ganz unbedeutendes Wundfieber einstellen; das sei aber auch Alles.
    Der Patient versank in Schlaf, und dann trat Hilda herein, um an seinem Lager zu wachen.
    Als sie so allein bei ihm saß, kamen und gingen ihr allerlei Gedanken. Sie hielt den Blick auf sein Gesicht gerichtet und gab sich keine Rechenschaft darüber, daß sie dieses unschöne Gesicht immer und immer wieder ansehen mußte. So verging die Nacht in lautloser Stille. Gegen Morgen bewegte sich der Lieutenant. Er öffnete die Augen, er sah sie, Er blickte sie an, als ob er sich erst besinnen müsse; dann sagte er.
    »Fräulein Holm? Sind Sie wirklich da? Oder träume ich noch?«
    »Es ist Wirklichkeit,« lächelte sie.
    »Wie herrlich! Ich träumte nämlich, Sie wären – ah, ich schulde Ihnen sehr großen Dank. Welch ein Opfer von Ihnen! Sie bedürfen doch selbst des Schlafes.«
    »O, ich könnte nicht schlafen, ganz unmöglich.«
    »Warum nicht? Sagen Sie es, bitte, sagen Sie es mir!«
    Sie erröthete; aber sie antwortete offen und ehrlich:
    »Weil ich Angst habe; ich sorge mich um Sie.«
    »Sie sorgen sich um mich? Herrgott! Sie wissen doch, Fräulein Holm, daß ich von meinen Kameraden der Kranich genannt werde?«
    »Ja. Man hat freilich keine schöne Bezeichnung gewählt.«
    »Es war doch immer noch die beste für so einen Ausbund von Häßlichkeit, wie ich bin.«
    »Häßlich? Das finde ich nicht.«
    »Nicht? O bitte, sehen Sie mich doch an!«
    »Das habe ich schon oft gethan. Ein Mann darf unschön sein, eine Frau aber nicht. Und die Schönheit zeigt sich ja nicht nur in den Zügen. Wer ein gutes Gemüth hat, der kann nicht häßlich sein.«
    »Wirklich? O, dann bin auch ich nicht häßlich; da bin ich sogar der schönste Kerl, den es nur geben kann. Ich sage Ihnen, ich habe ein Gemüth, ein Gemüth wie eine überreife Pflaume; sie fällt sogleich vom Baume, wenn man nur ein ganz klein wenig schüttelt.«
    »Sie bedienen sich höchst trefflicher Vergleiche,« lachte sie.
    »Ja. In Ihrer Nähe werde ich geistreich; das ist wahr.«
    Er sah ganz glücklich aus und dieses Glück verschönte

Weitere Kostenlose Bücher