Der verlorne Sohn
kann man sich nicht verlassen.«
»Oho! In einer solchen Lage ist mir Alles gleich. Wir müssen fort, müssen Alles hinter uns lassen, unsere Besitzungen, unseren Namen, unseren Adel, unsere Ahnen. Wir müssen die Mittel zu einer neuen und keineswegs armseligen, sorgenvollen Existenz haben. Ich werde diese Mittel da wegnehmen, wo ich sie finde.«
»Ich werde sehen, ob Du wirklich den Muth dazu hast. Da vorn läuft Einer. Das ist Winter, mein heißgeliebter Bräutigam. Wollen machen, daß wir ihn einholen. Dann wird sich ja finden, was zu thun ist.«
Da er langsam ging, erreichten sie ihn sehr bald. Er knurrte vergnügt vor sich hin, als er bemerkte, daß der Freiherr wirklich die Tochter mitbrachte. Jetzt war sie sein, das war gewiß. Eine Flüchtige, ohne Geld, ohne alle Mittel, sie mußte sich auf ihn verlassen, sie hing nun nur von ihm ab. Das schöne, üppige Mädchen gehörte nun ihm.
»Hat man Sie gesehen?« fragte er, sich zu ihnen zurückwendend.
»Einige von der Dienerschaft,« antwortete der Freiherr.
»Aber man weiß nicht, wohin Sie sind?«
»Nein. Kein Mensch kann eine Ahnung haben, außer Daniel, weil der weiß, daß Sie bei mir gewesen sind.«
»Kommen Sie nur! Bei mir sind Sie sicher.«
»Hm! Wenn man Daniel zum Sprechen bringt, so wird man unsere Fährte finden.«
»Ich verstecke Sie im Thurme. Es ist ein alter Keller da, den kein Mensch findet. Zwar ist es nicht sehr comfortabel darin, es giebt da Ratten, Spinnen und Kröten und ähnliches Viehzeug, aber man ist desto sicherer aufgehoben.«
»Pfui!« meinte Theodolinde. »Da hinein bringen Sie mich auf keinen Fall.«
»Mich auch nicht,« stimmte ihr Vater bei. »Wir können überhaupt nicht bleiben. Wir müssen fort, schleunigst fort, noch während dieser Nacht.«
»Wohin denn?«
»Das werden wir überlegen.«
»Gut. Ueberlegen wir es. Dort sehe ich den Thurm. Kommen Sie. Dort können wir eher sprechen als hier.«
Sie wurden von dem Geknurr des Hundes empfangen, doch schwieg das Thier, sobald es seinen Herrn witterte.
»Bleib hier außen vor der Thür!« befahl dieser. »Du mußt aufpassen!« Und zu den Beiden gewendet, erklärte er: »Solange der Hund vor der Thür hält, sind wir sicher. Er wird die Nähe eines jeden Menschen anzeigen und den Allzukühnen, welcher sich den Zutritt erzwingen wollte, ganz sicher zerreißen.«
Er zog den Schlüssel hervor und schloß auf. Als sie eingetreten waren, schloß er wieder zu und schob überdies einen starken Riegel vor. Da es ganz dunkel war, hatte er nicht bemerkt, daß sich der Hund mit hereingeschlichen und dann neben der Treppe niedergelegt hatte.
Oben in der Wohnstube angekommen, brannte der Besitzer des abenteuerlichen Aufenthaltsortes ein Licht an, ließ den Besuch sich niedersetzen und bat dann um die Erklärung des heutigen Ereignisses. Der Freiherr erzählte ihm ein Märchen, welches ihm da einfiel, denn die Wahrheit zu gestehen, konnte ihm gar nicht in den Sinn kommen. Das aber, was er erzählte, war so eingerichtet und ausgesonnen, daß es eine schleunige Entfernung aus der Gegend erforderte. Als der Erzähler geendet hatte, sah der Einsiedler eine Weile vor sich nieder; dann fragte er:»Können Sie Ihre Flucht ohne Hilfe bewerkstelligen?«
»Leider nicht.«
»An wen wollen Sie sich wenden?«
»Ich habe, aufrichtig gestanden, zu keinem Menschen ein richtiges Vertrauen.«
»Auch zu mir nicht?«
»Sie wären allerdings der Einzige.«
»Nun, ich bin gern bereit, Ihnen nach Kräften beizustehen; aber Ihre Tochter ist die Verlobte Hagenau’s.«
»Fällt keinem Menschen ein!«
»Wirklich? Ich verlange, daß Sie mir in aller Form und Aufrichtigkeit sagen, ob ich Ihnen als Schwiegersohn willkommen bin.«
»Wenn Sie beweisen, daß Sie meine Tochter wahrhaft lieb haben, ja.«
»Wie soll ich das beweisen?«
»Durch Ihre Hilfe.«
»Gut. Ich habe mehr Mittel, Ihnen zu helfen, als Sie denken. Horch! Schlug nicht der Hund an?«
»Ich habe nichts gehört.«
Der Einsiedler hatte doch recht vernommen, beruhigte sich aber doch und fuhr im Gespräche fort. Die Drei ahnten nicht, daß draußen eben jetzt eine Leiter angelegt wurde, zum Zwecke, ihr Gespräch zu belauschen. Holm und Robert Bertram hörten die nun folgenden Worte und dann begab sich Winter in die nebenan liegende Kammer.
»Jetzt zeigt er uns sein Geld,« flüsterte Theodolinde.
»Ob es viel sein wird?«
»Er scheint fürchterlich reich zu sein. Ein Hieb, ein Stich jetzt, und Alles gehört uns. Willst Du?«
»Hm!
Weitere Kostenlose Bücher