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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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diese Meldung, die ihm eine Störung in Aussicht stellte, ungehalten sei.
    »Der Hausmeister wünscht Durchlaucht zu sprechen.«
    »Morgen! Ihr wißt ja, daß ich jetzt nicht zu sprechen bin!«
    »Er sagt, es sei sehr dringend, es handle sich um die Rechnungsvorlage, welche morgen mit dem Frühesten –«
    »Ah, so! Unangenehm, höchst unangenehm! Aber es ist wirklich dringend.«
    Nichts konnte der Baronin erwünschter kommen, als diese Unterbrechung. Sie hatte zu ihrer großen Freude bemerkt, daß der Fürst den Schlüssel des Juwelenschrankes nicht abgezogen hatte, sie sagte: »Bitte, Durchlaucht, lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht bestimmen, etwas Nothwendiges und Dringendes zu vernachlässigen!«
    »Auch wenn ich mich für zehn Minuten oder gar noch länger von Ihnen beurlauben müßte?«
    Er wollte ihr hinreichend Zeit geben, ihr Vorhaben auszuführen.
    »Auch dann!« antwortete sie.
    »Zehn Minuten wenigstens wird es währen. Sie sind zu gütig, meine Gnädige; aber da liegen Zeitungen und Illustrationen, mit denen Sie die kurze Einsamkeit auszufüllen vermögen. Adolf, sage dem Hausmeister, daß ich sofort komme. Er mag mich unten in seinem Zimmer erwarten, wo er ja die Bücher hat. Du aber gehst hinter in den Stall, um zu sehen, ob der Kutscher die Pferde für später bereit hält.«
    Um die Baronin ganz sicher zu machen, gab er dem Diener einen scheinbaren Auftrag, der ihn eigentlich für einige Zeit entfernt hätte. Sie sollte überzeugt sein, daß sie allein und unbeobachtet sei.
    »Zu Befehl, Durchlaucht!« sagte Adolf und entfernte sich.
    Er wußte natürlich, daß der Auftrag, den er erhalten hatte, nur eine Finte sei. Draußen zog er die Stiefel aus, versteckte sie und begab sich nach dem Toilettenzimmer. Dieses hatte zwei Thüren; die eine führte in das Cabinet, in welchem sich der Fürst mit seinem Besuche befand; durch diese Thür waren ja die Beiden in die Toilette getreten; die andere ging nach dem Corridore. Durch diese Letztere trat der Diener leise und unhörbar auf den Strümpfen ein, kroch unter den Tisch und ordnete die bis auf den Boden herabreichende Decke desselben so, daß er den Schrank und Alles, was bei demselben vorgenommen wurde, genau beobachten konnte.
    Der Fürst trank sein Glas langsam aus, um dem Diener Zeit zu geben, seinen Lauscherposten einzunehmen, und entfernte sich dann. Die Baronin war allein.
    Sie erhob sich von ihrem Sessel und lauschte. Sie war allein. Sie legte die Hand auf ihre stürmisch klopfende Brust und fragte sich: »Soll ich, oder soll ich nicht? Hier die Angst um das Gelingen, die Furcht vor dem Ertapptwerden, und dort Schätze, die mir niemals wieder geboten werden! Ah! Er war kalt und zurückhaltend; er hat kein Herz! Die Steine müssen mir gehören!«
    Sie öffnete die Thür des Vorzimmers und blickte hinaus. Es befand sich kein Mensch dort. Ueberall die tiefste Stille.
    »Pah! Es ist nicht gefährlich! Es muß gelingen! Der Schlüssel steckt; ich habe mir die Stelle gemerkt, an welcher sich das Buch befindet; der Fürst ist fort und der Diener nach dem Stalle. Ehe dieser zurückkommt, muß es geschehen sein! Bis zur Nacht wird Niemand auf den Gedanken kommen, nach den Steinen zu sehen. Und dann werden ja die Einbrecher den Schrank ausleeren. Sie haben auch die Steine! Kein Mensch wird die Baronin von Helfenstein in Verdacht haben können! Vorwärts also!«
    Sie warf noch einen zweiten Blick in das Vorzimmer und huschte dann hinaus in den Toilettenraum. Sie schloß den Schrank auf und ergriff das Buch. Die »Könige der Steine,« die in den Beuteln waren, verschwanden im Nu in ihrer Tasche. Sie stellte den scheinbaren Einband wieder an seinen Platz zurück, verschloß den Schrank und saß einige Augenblicke später in ruhiger Haltung wieder auf ihrem Sessel, eine Zeitung in der Hand.
    Aber sie war nicht so ruhig, wie es den äußeren Anschein hatte. Ihre Pulse flogen; es flimmerte ihr vor den Augen, so daß die Buchstaben verschwammen, und die Taille wollte ihr zu eng werden.
    »Fort! Nur fort!« hauchte sie.
    Und doch bekam sofort die Ueberlegung die Oberhand.
    »Nein,« dachte sie, »ich muß bleiben! Ein zu schnelles Aufbrechen würde sicherlich Verdacht erregen. Wenn ich dafür sorge, daß der Fürst nicht Zeit erhält, in den Schrank zu blicken, bin ich geborgen. Später mag es werden, wie es will!«
    Nach einiger Zeit kehrte Befour zurück; er fand sie, scheinbar in die Zeitung vertieft.
    »Welch Langeweile werden Sie gehabt haben,

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