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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Küsse zu geben und Umarmungen zu erdulden, was gar nicht recht nach meinem individuellen Geschmacke war. Dann aber fuhr ein Wagen vor. Die Zofe trat an das Fenster und sagte erschrocken, daß ihre Herrin komme. Als sie sich vom Fenster zurück wendete, erblickte sie mich bereits nicht mehr.«
    »Du stecktest schon unter dem Bette?«
    »Natürlich! Sie wollte mich heraus haben, aber ich gehorchte nicht. Zu guten Worten oder gar zur Strenge gab es keine Zeit, denn nach einigen Augenblicken befand sich die Baronin mit ihrem Gemahle bereits im Salon. Ich blieb also stecken.«
    »Ah! Die Baronin hatte eine Unterredung mit ihm?«
    »Ziemlich lange.«
    »Hast Du Etwas gehört?«
    »Kein Wort! Das Boudoir liegt zwischen Salon und Schlafzimmer. Endlich kam sie, und die Zofe mußte ihr beim Auskleiden helfen, wurde aber sehr bald mit dem Auftrage entlassen, daß sie schlafen gehen könne.«
    »Auf welche Toilettenstücke erstreckte sich die Hilfe der Zofe?«
    »Nur auf die Ober-und Untertaille. Den Pelz hatte die Gnädige bereits abgelegt.«
    »Den Rock des Kleides, in welchem sich die Tasche befindet, durfte die Zofe nicht berühren?«
    »Nein. Ah, Durchlaucht meinen die zwei Beutel?«
    »Hast Du sie gesehen?« fragte der Fürst rasch.
    »Sehr deutlich! Es waren die Diamantenbeutel aus dem Brillantenschranke des gnädigen Herrn.«
    »Gut, gut! Das ist prächtig. Was hat sie mit ihnen gemacht?«
    »Sie nahm einen der Steine heraus und legte ihn auf den Tisch. Dann – der gnädige Herr sind bei der Baronin gewesen?«
    »Ja.«
    »Nur im Boudoir?«
    »Auch im Schlafzimmer.«
    »So kennen Durchlaucht wohl die kleine Uhr, welche gegenüber dem Lavoir auf der Wandconsole steht?«
    »Genau.«
    »Nun, die Baronin nahm die Uhr herab und dann auch die Console. Die Letztere ist inwendig hohl. Die Gnädige steckte die Beutel da hinein und brachte dann Console und Uhr wieder an Ort und Stelle.«
    »Wie schlau! In der Console sucht kein Mensch Diamanten!«
    »Eine echte Spitzbübin.«
    »Aber der Diamant auf dem Tische?«
    »Darüber bin ich mir im Unklaren. Neben dem Bette geht eine Thür in den Gang, der zu den Gemächern des Barons führt; durch diese Thür entfernte sie sich auf kurze Zeit. Meine Lage war nichts weniger als sicher. Ich hatte nun erfahren, wo die Steine verborgen sind, und konnte mich entfernen, ohne mich der Nachlässigkeit zeihen zu müssen. Jetzt war die Entfernung leicht zu bewerkstelligen, später wurde sie vielleicht schwerer. Ich war bereits mit dem halben Leibe unter dem Bette hervor, da mußte ich schnell zurück – die Baronin kam wieder. Sie brachte zu meinem Erstaunen Rock, Hose, Weste und Hut –«
    »Einen Männeranzug?«
    »Ja, auch einen Bart und allerlei Krimskrams, was ich nicht gut erkennen konnte.«
    »Legte sie den Anzug an?«
    »Ja. Bis sie Hose und Weste anhatte, war ich zugegen. Da aber entfernte sie sich abermals durch dieselbe Thür, und da ergriff ich schnell das Hasenpanier. Mein süses Zöfchen hatte fürchterliche Angst ausgestanden und nahm daher einen sehr ergreifenden Abschied von mir.«
    »Ahnt sie, was Du bei der Baronin gesehen hast?«
    »Kein Wort! Ich habe ihr gesagt, daß die Baronin schlafe.«
    »Recht so! Die Baronin will heimlich ausgehen.«
    »Als Mann verkleidet!«
    »Sicher. Wenn ich richtig vermuthe, so beabsichtigt sie, den Stein in Geld umzuwandeln.«
    »Ah! Das ist allerdings sehr wahrscheinlich! Aber zu wem wird sie gehen?«
    »Das eben will ich beobachten. Dabei aber giebt es noch zu überlegen. Durch die erleuchteten Corridore kann sie nicht gehen, da sie sich nicht sehen lassen darf.«
    »Allerdings. Ich vermuthe, daß sie das Gebäude durch das hintere Pförtchen verlassen wird.«
    »Kennst Du dasselbe?«
    »Die Zofe sprach davon. Sie sagte, daß man durch das Pförtchen in die Gemächer des Barons gelangen könne.«
    »Gut, gut! Ich werde also an dieser Pforte Posto fassen. Du bleibst hier. Kommt die Baronin ja hier heraus, so holst Du mich sofort, aber ohne Dich von ihr sehen zu lassen. Ich stehe an dem Thore, dem Pförtchen gegenüber.«
    »Und wenn die Gnädige durch die Pforte kommt, so werden Sie ihr folgen, Durchlaucht?«
    »Ja.«
    »Und ich? Was thue ich?«
    »Du bleibst hier, bis ich zurückkehre. Es liegt mir daran, den Eingang hier nicht aus den Augen zu lassen.«
    Er entfernte sich, trat um die Ecke des Palastes und begab sich nach der dem Pförtchen gegenüberliegenden Straßenseite. Dort gab es ein tiefes, dunkles Hausthor, unter welchem der Fürst

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