Der verlorne Sohn
den Daruntersitzenden?«
»Ja.«
»Was geschieht dann?«
»Das Mittel riecht sehr stark.«
»Das heißt, der Betreffende wird betäubt?«
»Ja.«
»Gut, ich bin zufriedengestellt. Sie sehen aber, daß Sie es mit keinem Schulknaben zu thun haben. Darum sage ich: Noch so eine Heimtücke, und eine Kugel fährt Ihnen in den Kopf! Setzen Sie sich!«
Der Alte kam, da der Lauf des Revolvers noch immer auf ihn gerichtet war, diesem Befehle sogleich nach.
»Und nun stehen Sie mir Rede und Antwort! Also, ich sagte Ihnen, daß Sie mir, um sich zu retten, ebenso dienen müßten, wie bisher dem Hauptmanne. Sind Sie bereit?«
»Ja.«
»Der Hauptmann darf nicht das Mindeste ahnen.«
»Ich werde zu schweigen wissen.«
»Sie stehen unter stetiger Aufsicht. Man weiß auch jetzt, daß ich bei Ihnen bin. Wäre mir Etwas geschehen, so hätten Sie den Schaden gehabt. Haben Sie noch von dem letzten Gifte, welches Sie dem Hauptmann gegeben haben?«
»Ein Wenig.«
»Wo?«
»Draußen im Vorderkeller.«
»Kann ich es bekommen?«
»Was zahlen Sie?«
»Ich bezahle sehr gut. Aber wie wirkt das Gift?«
»Es versetzt in die tiefste Lethargie.«
»Das weiß ich; ich will Anderes wissen. Auf den Geist kann dieses Mittel unmöglich so schnell wirken.«
»Nein; es wirkt allerdings nur auf den Körper; es sind gewisse Nerven, welche es lähmt.«
»Die Sprach-und Bewegungsnerven?«
»Die Ersteren ganz, die Letzteren nur theilweise.«
»Der Kranke liegt also nur scheinbar in Lethargie?«
»Ja.«
»Er sieht und hört aber Alles, was um ihn geschieht?«
»Ja.«
»Und muß sterben?«
»Ganz sicher!«
»Welch ein schrecklicher, entsetzlicher Tod! Viel, viel schlimmer noch als Starrkrampf, bei welchem es wenigstens schneller aus wird! Aber, giebt es ein Gegenmittel?«
»Ja.«
»Haben Sie das auch?«
»Gewiß!«
»Wieviel braucht man von Beiden?«
»Je nach den Monaten. Ein Tropfen des Giftes tödtet in sechs Monaten, zwei tödten in fünf, drei in vier, vier in drei, fünf in zwei, und sechs in einem Monate. Das Gegengift wird umgedreht angewandt, und zwar in geradem Verhältnisse: So viele Monate die Lethargie bereits gedauert hat, so viele Tropfen giebt man.«
»Wie schnell wirkt das Gift?«
»Binnen einer halben Stunde.«
»Und das Gegengift?«
»Binnen ganz derselben Zeit.«
»Und ich kann sie also Beide haben?«
»Wenn es gut bezahlt wird.«
»Wer aber giebt mir Bürgschaft, daß ich nicht betrogen werde?«
»Ich selbst!«
Es war ein eigenthümlich energisches Lächeln, welches um die Lippen des Fürsten spielte.
»Gut!« sagte er. »Ich nehme Ihre Bürgschaft an. Der Hauptmann kennt also das Gift, ob aber auch das Gegengift?«
»Das Letztere nicht. Wir haben gar nicht davon gesprochen.«
»Das ist mir desto lieber. Sind Sie zufrieden, wenn ich Ihnen für beide Mittel hundert Gulden bezahle?«
Die Augen des Apothekers leuchteten gierig auf.
»Hundert Gulden? Ist das Ihr Ernst?« fragte er.
»Ja.«
»Ich bin zufrieden!«
»Hier, nehmen Sie! Aber nun auch her mit dem Zeuge!«
Er zog aus der Brieftasche einen Hundertguldenschein hervor und gab ihn dem Alten. Dieser steckte ihn in die Tasche und sagte dann: »Kommen Sie nach vorn. Sie sollen die Medizinen haben. Ich habe glücklicherweise mehr angefertigt, als ich brauchte.«
Sie traten in den vorderen Raum. Dort zog der Apotheker einen Stein aus der Mauer. Es entstand eine Oeffnung, aus welcher er ein Kästchen nahm, welches mit kleinen Phiolen gefüllt war. Von den Letzteren las er zwei aus und sagte: »Hier das weiße Fläschchen enthält das Gift und das grüne das Gegengift. Es ist genug in Beiden, um das Experiment zwanzigmal vorzunehmen.«
Der Fürst steckte die beiden Phiolen ein und wendete sich zum Gehen.
»So wären wir also fertig,« sagte er. »Wenn Sie mir treu dienen, werden Sie mit mir zufrieden sein. Ertappe ich Sie aber bei einer Untreue, so ist es aus mit Ihnen. Ah, was ist in diesen großen Fässern? Wein vielleicht?«
»Nein, aber etwas ebenso Probates, nämlich alter, guter, ächter Franzbranntwein.«
»Hm! Nicht übel, wenn er wirklich ächt ist. Haben Sie Gläser?«
»Hier stehen zwei. Wollen Sie einen Schluck?«
»Dazu gehört eigentlich eine Cigarre.«
Der Alte lachte selbstbewußt auf.
»Ich denke, Sie rauchen nicht!« sagte er.
»Äußerst selten; aber zum Branntwein muß ich Tabak riechen.«
»Soll ich eine Cigarre holen?«
»Meinetwegen!«
»Ich komme gleich zurück!«
Er stieg die Treppe empor. Schnell zog der
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