Der verlorne Sohn
legte sich ein kleines, weiches Händchen auf seinen Arm.
»Ja, weinen Sie, weinen Sie sich aus!« sagte Fanny. »Das Herz hat seine Rechte. Und dann kommen Sie durch diese Thür!«
Sie öffnete eine Seitenthür. Ja, das war das Schlafzimmer, in welches er damals gestiegen war, um ihr zu Hilfe zu kommen. Da stand das jungfräuliche, blüthenweiße Bette, und hier der Pfeilertisch, an welchem er den Riesen überrascht hatte.
Aber was sollte das? Sie, die Tochter des Freiherrn, lud ihn, den Sohn des Schneiders, in ihr Schlafzimmer! Einem Ebenbürtigen wäre dies nie widerfahren. Dies gab ihm sein Gleichgewicht zurück.
»Erinnern Sie sich jenes unglücklichen Abends?« fragte sie.
»Jeder Kleinigkeit, gnädiges Fräulein.«
»Nun, so werden Sie mir nun auch sagen wollen, ob Sie mir verzeihen können.«
»Was hätte Robert Bertram der Baronesse von Hellenbach zu verzeihen? Eine unglückliche Verkettung der Umstände ließ mich als Mitschuldigen erscheinen; jetzt ist der Irrthum aufgeklärt. Sie erdrücken mich mit Ihrer Güte!«
Sie blickte ihm voll in das Angesicht.
»Sie haben Recht,« sagte sie dann. »Ich denke, die Eltern werden bereit sein. Lassen Sie uns gehen.«
Sie begaben sich miteinander nach dem Familienzimmer, wo sich der Baron und die Baronin befanden. Der Fürst war bei ihnen. Sie empfingen Robert mit großer Freundlichkeit. Er fühlte, daß es nicht leere Redensarten seien, die er in seiner einfachen, bescheidenen aber freien Weise beantwortete.
Nach und nach stellten sich mehrere Gäste ein, welche sich erfreut zeigten, ihn zu sehen. Unter ihnen befand sich eine wunderbar schöne, nicht mehr sehr junge Dame. Sie ging ganz in Schwarz, und doch war es, als ob ein Licht von ihr ausgehe. Er konnte das Auge nicht von ihr wenden. Es war ihm, als ob er diesem Gesichte mit den weichen Zügen, diesen blauen, tiefen Augen und diesem reichen, goldblonden Haare bereits einmal begegnet sei. Er sann und sann, konnte aber zu keiner Antwort kommen.
Es war die Baronesse Alma von Helfenstein.
Später wurde die Thür zum Salon geöffnet. Da brannte ein reich ausgestatteter Christbaum, unter welchem Geschenke ausgebreitet lagen. Diese Letzteren waren für die Familienmitglieder bestimmt; aber doch lag auch für jede der anderen anwesenden Personen eine Gabe bereit.
Da trat Fanny zu Robert.
»Kommen Sie, Herr Bertram!« sagte sie. »Sollte das Christkind nicht auch an Sie gedacht haben? Darf ich Sie führen?«
Sie nahm ihn bei der Hand und geleitete ihn dahin, wo ein in blauen Sammet gebundener Band lag. Auf der Außenseite war in Goldschrift zu lesen: »Heimaths-, Tropen-und Wüstenbilder von Hadschi Omanah, siebente Auflage.«
Er war doch überrascht.
»Bereits die siebente?« fragte er. »Diese Freude haben Sie mir gegönnt. Ich danke Ihnen!«
Er reichte ihr die Hand; sie aber fragte:
»Haben Sie diese Auflage bereits gelesen?«
»Das war mir allerdings noch nicht möglich.«
»So schlagen Sie schleunigst auf!«
Er folgte dieser Aufforderung. Was war das! Auf dem Tittelblatte eine zusammengelegte Hundertguldennote, und zwischen den anderen Blättern je ein Zehnguldenschein. Er erbleichte. Sie Alle sahen es.
»Was ist das?« fragte er.
Sein Auge suchte mit einem beinahe vorwurfsvollen Blicke im Kreise umher. Da antwortete Fanny:
»Sie dürfen es nehmen. Es ist Ihr wohlverdientes Honorar, um welches Sie beinahe betrogen worden wären. Da steht er, dem Sie diese Freude zu verdanken haben.«
Sie deutete auf den Fürsten. Dieser trat herbei und zog ein Document hervor.
»Hier der revidirte Verlagscontract zwischen Hadschi Omanah und der Firma Zimmermann! Sie waren krank, und so habe ich mich dieser Angelegenheit ein Wenig angenommen.«
Jetzt gab es eine Erklärung nach der anderen, bis Robert endlich einsah, daß es sich wirklich nicht um ein Geschenk, sondern um ein wohlverdientes Honorar handle.
Mit welcher Genugthuung ihn das erfüllte. Er fühlte plötzlich, daß er auch eine Bedeutung habe; es überkam ihn eine Sicherheit, welche er vorher an sich gar nicht gekannt hatte. Er galt Etwas in der großen Zahl jener Wesen, welche man mit dem Sammelworte Menschheit bezeichnet. Und das, was er galt, war ihm in Guldenscheinen zugemessen worden! Ah, was würde Marie dazu sagen, Marie, seine Schwester?
Aber er kam nicht dazu, diese letzte Frage auszudenken, denn da ganz in seiner Nähe gab es ein anderes Wesen, dessen Meinung ihm noch viel wichtiger zu sein dünkte als diejenige der Schwester. Er
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