Der verlorne Sohn
fragte er die Wärterin nach den Geschwistern; er wurde mit der Auskunft, daß er sich ja nicht sorgen solle, beruhigt.
So war endlich der Weihnachtsheiligeabend da. Am Vormittage desselben kam der Fürst zu Robert und fragte, wie gewöhnlich, nach seinen Wünschen.
»Fort von hier! Weiter nichts!« lächelte Robert.
»Wissen Sie denn bereits, wohin?«
»Gott wird mir schon meinen Weg zeigen!«
»Und Sie fühlen sich wirklich kräftig genug, es wieder mit dem Leben aufzunehmen?«
»Vollständig! Sehen Sie hier diese Papiere, Durchlaucht! Seit einer Woche arbeite ich wieder. Es sind Gedichte.«
»Unsers Hadschi Omanah!«
»Ja, der zweite Band.«
»Honorar zwanzig Gulden!«
»O, für den zweiten Band hat er mir wohl fünfundzwanzig versprochen. Ich denke, daß er Wort halten wird!«
»Ich sehe allerdings, daß Sie sich wieder im Vollbesitze Ihrer Kräfte befinden. Halten Sie noch bis zum Abend aus; dann wird die Stunde der Erlösung geschlagen haben.«
Er ging, und Robert wartete. Der Tag wollte ihm zur Ewigkeit werden. Endlich wurde es dunkel, und da kam die Krankenpflegerin, um ihm einige Packete hinzulegen.
»Hier Ihre Kleider, welche Sie nun anlegen sollen, Herr Bertram!«
Als sie sich entfernt hatte, stieg er aus dem Bette, um sich anzukleiden. Die Packete enthielten Alles zu einer feinen Gesellschaftstoilette Erforderliche. Wer war der Geber dieses theuren Anzuges? Jedenfalls der Fürst!
Als Robert sich im Spiegel besah, erkannte er sich kaum selbst, so zu seinen Gunsten war er verändert. Und da wurde auch bereits die Thür geöffnet, und der Fürst trat ein.
»Nun, mein junger Freund,« sagte er. »Ich komme, um Wort zu halten. Sie sollen endlich frei sein.«
Robert war voll Dank gegen seinen Wohlthäter; aber dieser wies alle Danksagungen von sich.
»Lassen wir das, mein Lieber,« sagte er. »Sind Sie bereit?«
Draußen stand die Equipage. Sie stiegen ein. Als sie dann wieder ausstiegen, war es vor dem Hause des Obersten von Hellenbach, welches Robert ja kannte.
»Hier?« fragte er. »Durchlaucht, was soll ich hier?«
»Man hat einige Gäste eingeladen, und Sie sind dabei. Kommen Sie, Herr Bertram!«
Er führte ihn die Treppe empor. Diener verbeugten sich respectsvoll. Robert befand sich wie im Traume. Der Fürst blieb vor einer Thür stehen und klopfte.
»Hier herein,« sagte er. »Wir sehen uns nachher wieder.«
Ehe Robert es sich versah, war er zur Thüre hinein geschoben worden, die sich hinter ihm verschloß. Er befand sich in einem reizend ausgestatteten Zimmerchen, welches ein lieblicher, feiner Duft durchwehte. Eine rosa Ampel erleuchtete den Raum auf magische Weise. Aus einem Fauteuil erhob sich eine wunderschöne Mädchengestalt. Er erkannte Fanny von Hellenbach.
Von glühender Röthe übergossen, stand er da, ohne zu wissen, was er sagen sollte. Sie aber kam ihm freundlich entgegen und reichte ihm die Hand, die er nicht zu küssen, kaum zu berühren wagte.
»Endlich!« sagte sie. »Willkommen nach so schweren Zeiten, Herr Bertram! Nehmen Sie auf einen Augenblick bei mir Platz. Die Eltern sind noch nicht disponibel.«
Er trat zum Stuhle. Sollte er sich setzen? War es nicht besser, schnell fortzugehen, zu fliehen, weit, weit hinweg? Was sollte er hier? Er konnte die Gegenwart nicht fassen; er griff sich an den Kopf und blickte wie nach Hilfe suchend, umher.
Sie verstand und begriff ihn. In unbeschreiblich mildem Tone, welcher ganz geeignet war, ihn zu beruhigen, sagte sie: »Ich habe heute eine Pflicht erfüllen wollen, Herr Bertram, eine Pflicht, welche ich nicht von mir weisen darf. Sie haben für mich gelitten; in diesen Räumen wurde Ihnen die Freiheit geraubt; hier soll und muß es auch sein, wo Sie sich derselben zuerst wieder erfreuen. Wir haben Sie verkannt; wir haben ein großes, ein schweres Unrecht an Ihnen verschuldet. Ich will die Erste sein, welche Sie um Verzeihung bittet. Können Sie mir vergeben?«
Sie war zu ihm getreten und streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff dieselbe nicht. Er schüttelte mit dem Kopfe; er wollte sprechen, aber es ging nicht; er brachte kein Wort hervor; aber eine ganze Flut von Thränen brach aus seinen Augen hervor.
Er stand auf und trat an das Fenster. Er mußte alle seine Kraft aufbieten, um nicht laut aufzuschluchzen.
Was erblickte er? Da drüben stand das Haus, in welchem er gewohnt hatte. Da oben war das Fenster, an welchem er gestanden hatte, oft, wie so oft, um herüber zu blicken nach diesem Hause. Und jetzt?
Da
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