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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zwar jetzt nichts mehr; aber in der Dämmerung geht der Eduard mit den vier Stücken, welche fertig werden, zum Seidelmann. Da bekommen wir viel Geld und können Alles kaufen, was wir brauchen. Du jedoch hast keine Aussicht, Geld zu verdienen.«
    »Guter Gott, das ist wahr!« seufzte der Alte, indem er hungrig in das Brod biß. »Früher war es anders. Da war ich der einzige Barbier und Bader der Umgegend. Jetzt sind Andere da, und meine Hand zittert so sehr, daß ich das Messer unmöglich mehr führen kann. Die Zeiten sind immer schlechter geworden und die Menschen mit ihnen. Wißt Ihr schon, was in letzter Nacht passirt ist?«
    »Nein. Ist’s etwas Neues.«
    »Etwas ganz Neues und ganz Grauenhaftes! Der Förster ist im Walde gewesen, heute früh trotz des Wetters. Sein Hund bleibt bei einer Schneewehe stehen und ist nicht fortzubringen. Und als der Förster die Wehe untersucht, findet er, daß eine Leiche unter ihr begraben liegt.«
    »Herrgott! Eine Leiche? Ein Erfrorener?«
    »Nein, sondern ein Ermordeter.«
    Auf dieses Wort folgte das Schweigen des Entsetzens. Eduard fand zuerst die Sprache wieder. Er fragte:
    »Wer ist denn der Ermordete gewesen?«
    »Der Grenzoffizier, der Lieutenant.«
    »Der Lieutenant? War er etwa geschossen?«
    »Ja. Die Kugel ist ihm durch den Kopf gegangen.«
    »So sind es die Pascher gewesen!«
    »Der Waldkönig selber ist’s gewesen!«
    »Woher weißt Du das?«
    »Der Ermordete hat einen Zettel in der Hand gehabt, den ihm der Waldkönig hineingesteckt hat. Darauf stand geschrieben, daß es einem Jeden so gehen werde, der sich um die Pascher bekümmert.«
    »Das ist ja ganz und gar entsetzlich!« meinte die Hausfrau.
    »Ja,« stimmte der Alte bei. »Und am Morgen ist einer der Grenzaufseher in der Schenke gewesen und hat erzählt, daß in der vergangenen Nacht ein Zug von über dreißig Schmugglern über die Grenze geschlüpft ist. Die Beamten haben sich gar nicht an so Viele wagen können.«
    »Wer nur der Waldkönig sein mag?«
    »Das weiß Niemand, und Niemand wird es erfahren. Der leibhaftige Gottseibeiuns muß es sein, kein Anderer! Aber ich muß nach Hause. Ihr habt zu arbeiten, und ich darf nicht stören. Habt tausend Dank, ihr guten Leute!«
    Er reichte Allen die Hand und ging. Hauser begleitete ihn nach guter, alter Sitte, bis unter die Hausthür. Gerade als sie dort standen, kam ein zweispänniger Schlitten vorübergefahren. Ein tief in seinen Pelz gehüllter Mann saß in demselben.
    »Ein Fremder,« meinte der Alte. »Wer mag das sein?«
    »Hast Du ihn denn nicht erkannt, Gevatter?«
    »Nein. Wer war es?«
    »Der Bruder des Kaufmannes.«
    »Der Fromme? O weh! Wenn der in den Ort kommt, giebt es allemal ein Unglück. Lebe wohl, Gevatter!«
    Er ging.
    Als Engelchen vorhin in ihre Stube getreten war, stand ihr Vater am Tische, um ein Stück Webearbeit, welches er gefertigt hatte, zu prüfen, ob sich vielleicht ein Fehler eingeschlichen habe. Auch diese Stube war klein, hatte aber ein offenbar behäbigeres Aussehen als die Wohnung Hauser’s. Dieser hatte sechs Kinder, während Engelchen das einzige Kind ihrer Eltern war. Das giebt einen Unterschied.
    Ihr Vater hatte jenes gebrochene Profil, welches dem Gesichte einen nicht angenehm zu nennenden Ausdruck giebt. Er warf ihr einen zürnenden Blick zu und fragte: »Wo warst Du jetzt?«
    »Ich habe Wasser geholt.«
    »Du selbst?«
    Sie zog es vor, nicht zu antworten, und machte sich mit ihrer Arbeit zu schaffen.
    »Nun wie wird’s?« fragte er scharf. »Erhalte ich Antwort?«
    »Der Eduard ist für mich gegangen,« sagte sie.
    »Der Eduard und immer der Eduard!« zürnte er.
    »Hast Du Etwas gegen ihn?«
    »Eigentlich nicht. Er ist ein guter Bursche, aber ein Habenichts!«
    »Wir sind auch nicht reich, Vater!«
    »Gerade das ist aber Grund genug, darnach zu trachten, daß wir es werden.«
    Sie warf einen ganz erstaunten Blick auf ihn.
    »Wir? Reich werden?« fragte sie. »Das kann wohl vor dem Jüngsten Tage nicht werden!«
    »O, das kann sehr bald werden! Du bist jung und hübsch. Es giebt wohlhabende Burschen, welche ein Auge auf Dich geworfen haben.«
    Sie erröthete und antwortete:
    »Ich brauche Keinen.«
    Da trat er vom Tische auf sie zu und sagte:
    »Keinen außer dem Eduard! Nicht wahr? Oder ist er etwa nicht Dein Schatz?«
    »Nein,« antwortete sie einfach.
    »Das machst Du mir nicht weiß! Ich kann mir sehr leicht denken, was hinter meinem Rücken geschieht!«
    »Nichts, gar nichts ist geschehen!«
    »Er hat noch nicht

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