Der verlorne Sohn
neigten andächtig die Köpfe, und er begann:
»Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was Du uns bescheeret hast!«
Die Kleinen glaubten, daß das Gebet zu Ende sei, und erhoben die Händchen, um nach der Schüssel zu langen. Der Weber aber warf ihnen einen strafenden Blick entgegen und fuhr fort:
»Du schenkst uns, Gott, so väterlich
Jetzt Speis und Trank; wir preisen Dich;
Denn Alles, was uns stärkt und nährt
Wird uns durch Deine Huld beschert.
Sieh, Deine Gaben nehmen wir
Mit Freuden, Vater, hin von Dir.
O laß uns den Genuß gedeihn
Und Dir dafür auch dankbar sein!«
Jetzt setzte er sich nieder. Das war das Zeichen, daß das Mahl beginnen könne. Und welch’ ein Mahl! Es gab eine Schüssel seifiger Kartoffeln in der Schale und dazu nichts weiter als – Salz, welches die Mutter braun geröstet hatte, um demselben wenigstens einen etwas ungewöhnlichen Beigeschmack zu geben.
Das war es, was Eduard dem »Engelchen« vorhin nicht hatte sagen wollen.
Und eben, als sie das mehr als frugale Essen begonnen hatten, öffnete sich die Stubenthür und ein steinaltes dürres Männchen trat ein.
»Guten Tag, Gevatter Hauser!« grüßte der Neuangekommene, indem er sich Mühe gab, einen Husten zu unterdrücken. »Ihr seid beim Essen? Da störe ich und will nur lieber gleich wieder gehen.«
»Bleib in Gottes Namen da,« antwortete der Hausvater. »Setze Dich dort auf den Schemel. Uns störst Du nicht.«
Der Alte zog den Schemel an den Ofen und prüfte mit der Hand die Kacheln, ob sie warm seien.
»O weh!« sagte er. »Das Feuer ist ausgegangen!«
»Der Gevatter will sich wärmen,« sagte der Weber. »Magst Du nicht noch einmal anlegen, Mutter?«
Die Gefragte machte ein trübseliges Gesicht und antwortete:
»Die Kohlen sind alle, Vater.«
»So nimm Holz!«
»Auch davon ist nichts mehr da. Es reichte gerade noch zu, um die Kartoffeln zu kochen.«
»O weh! Wieviel Geld hast Du noch?«
»Vier Kreuzer!«
»So laß nachher für vier Kreuzer Kohlen holen. Hast Du schon gegessen, Gevatter?«
Der Alte schüttelte den Kopf, warf einen begierigen Blick auf die Schüssel, welche sich zusehends leerte und sagte:
»Heute noch nichts. Ich war – hm, ich war bei Herrn Seidelmann. Ich fragte ihn, ob – hm, na! Der giebt Nichts!«
»So komm her, Gevatter, und iß mit uns!«
Das Männchen ließ sich dies nicht zweimal sagen. Anstatt sechzehn, waren es nun achtzehn Hände, welche sich bestrebten, den Inhalt der Schüssel verschwinden zu lassen. Dazu gab es einen Trunk kalten Wassers.
Als die letzte Kartoffel verzehrt war, erhob sich der Weber und sagte, ganz wie vorher:
»Wir wollen beten!«
Sie falteten Alle die Hände, und der Hausvater begann:
»Wir danken Dir, Herr Jesus Christ, daß Du unser Gast gewesen bist!«
Und daran fügte er die Strophen:
»Nun, wir sind auch diesmal satt,
Da uns Gott vergnügt gespeiset
Und vergnügt getränket hat.
Seine Güte sei gepreiset.
Er wird ferner unserm Leben
Speis und Trank und Nothdurft geben.«
Er war fertig und wollte bereits die gefalteten Hände auseinander nehmen, da aber fuhr der Alte fort:
»Reiche Deine milde Hand,
Liebster Vater, auch den Armen.
Laß den kümmerlichen Stand
Immer unser Herz erbarmen,
Daß wir ihnen einen Segen
Nach Vermögen reichen mögen,
Bis wir himmlisch Mannah speisen
Und Dich ewig selig preisen!«
Der Beter hatte die Augen voller Thränen. Als er geendet hatte, streckte er dem Weber die hagere Rechte entgegen und sagte: »Vorhin habe ich gemeint, daß ich seit heute noch nicht gegessen hätte, Gevatter; aber ich will Dir nun gestehen, daß bereits seit vorgestern Abend nichts über meine Lippen gekommen ist.«
»Guter Gott!« rief da der Weber. »Mutter, schneide ihm doch ein Stück Brod ab!«
Die Frau hustete verlegen und antwortete dann:
»Das Brod ist alle, Vater.«
»Haben wir gar kein Bischen mehr?«
»Gar nichts.«
Da warf er ihr einen Blick zu, welchen sie sofort verstand. Sie warf ein Tuch über den Kopf und entfernte sich. Nach einer kleinen Weile kam sie wieder. Sie war bei dem nahen Bäcker gewesen und hatte ihre letzten vier Kreuzer, welche für Kohlen bestimmt gewesen waren, hingegeben, um dem alten Gevatter ein Stück Brod zu holen.
Der Alte drückte die Hände der braven Frau an seine Brust und rief:
»Vergelt’s Euch Gott! Aber nehmen kann ich es doch nicht. Eure Kleinen da brauchen es ebenso nothwendig wie ich.«
»Nimm und iß es!« gebot aber Hauser. »Wir haben
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