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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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hier Keinen verderben lassen.«
    »Hat Dich der Baron geschickt?«
    »Auch in seinem Auftrage komme ich.«
    »Auch, sagst Du. Also giebt es noch einen anderen Grund Deines Kommens?«
    »Ja. Ich komme als Prophet, als Heiliger der Meinigen.«
    »Alle Wetter! Seit wann bist Du unter die Heiligen und Propheten gegangen?«
    Der Mann faltete die Hände und antwortete:
    »Ich bin nie als Saul unter die Propheten gegangen; ich war auch nie ein Saulus, aus welchem ein Paulus werden mußte. Ich habe von Anbeginn meiner irdischen Laufbahn nach dem Reiche der Erlösung gestrebt. Jetzt nun bin ich Vorsteher der Gesellschaft der Schwestern und Brüder der Seligkeit.«
    »Diesen Galimatthias mag der Kukuk verstehen; ich begreife kein Wort davon. Erkläre Dich deutlicher!«
    »Das werde ich thun, denn meine Seele dürstet, auch Euch zu retten und einzuführen in die Secte der wahrhaft Frommen.«
    »Bleibe mir mit Deiner Secte vom Leibe! Ich beginne zu begreifen, daß Du Vorsteher einer frommen Gesellschaft bist?«
    »Es ist die Gesellschaft der Brüder und Schwestern der Seligkeit.«
    »Aha! Es sind auch Schwestern dabei? Gratulire!«
    »Du redest, wie die Kinder der Menschen reden. Ich verzeihe es Dir, denn die Herzen meiner Brüder sind voller Milde und Erbarmen. Sie haben von der Noth vernommen, welche in dieser Gegend herrschen soll, und eine Sammlung zum Besten der Unglücklichen veranstaltet. Ich komme mit sechstausend Gulden, um sie zu vertheilen unter Die, welche einer solchen Gabe am Würdigsten sind.«
    Der Kaufmann lachte.
    »Der Würdigste bist jedenfalls Du selbst!« sagte er. »Also, sechstausend Gulden? Hm! Darüber werden wir noch zu sprechen haben. Vorerst aber muß ich wissen, ob Du auch im Auftrage des Barons kommst.«
    »Ja, auch er sendet mich.«
    »In welcher Angelegenheit?«
    »In der Angelegenheit jenes Sohnes Belials, welchen ihr hier den Waldkönig nennt.«
    »Ich bitte Dich um aller Welt willen: Laß diese frommen Ausdrücke bei Seite, wenigstens so lange, als Du Dich bei mir befindest! Wir kennen uns und brauchen uns nicht zu verstellen. Wenn Belial wirklich einen Sohn hat, so bist Du es! Verstanden?«
    Der Fromme schlug die Augen zum Himmel auf, machte eine Geberde des Abscheues und rief:
    »Herr, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun! Ich werde mich wahrhaftig gezwungen sehen, zu sprechen ganz so, wie die Kinder der Sünde zu sprechen pflegen. Aber sage mir, wie es kommt, daß Dein Name ›Seidelmann und Sohn‹ an Deiner Thür zu lesen ist? Das ist doch ganz so, als ob Du Kauf-oder sonst ein großer Geschäftsmann geworden seist.«
    »Das ist auch der Fall.«
    »Kaufmann?«
    »Man könnte so sagen. Was ich bin, das wird hier in dieser Gegend eigentlich Verleger genannt.«
    »Dieses Wort verstehe ich nicht.«
    »Ich werde es Dir erklären. Es giebt große Fabrikanten, deren Geschäft ein so bedeutendes ist, daß sie gar nicht Zeit finden, direct mit ihren Arbeitern zu verkehren. Sie engagiren also Mittelspersonen.«
    »Ah, das sind die Verleger?«
    »Ja.«
    »Ein solcher bist auch Du?«
    »Ja. Es giebt hier Weber zu Tausenden. Sie finden in dieser Gegend keine Arbeit. Ich habe mich nun mit mehreren Fabrikanten in Verbindung gesetzt; diese senden mir das Material und die Muster und bezahlen mir pro Stück ein bestimmtes Arbeitslohn. Ich engagire die Arbeiter und behalte dafür von dem Lohne eine Kleinigkeit für mich.«
    »Wie viel beträgt die Kleinigkeit?«
    »Bekomme ich pro Stück zehn Gulden, so erhält der Arbeiter vier, höchstens fünf.«
    »Welch ein Sündengeld! Du bist werth, ersäufet zu werden im Meer, da es am tiefsten ist!«
    »Bekomme ich ferner pro Stück vierzig Pfund Garn für den Arbeiter, so erhält dieser Letztere nur fünfunddreißig. Er muß davon das Stück liefern. Reicht das Garn bei ihm nicht aus, so kommt er zu mir, um zu kaufen, was er nöthig hat!«
    »Ich sehe den Mühlstein bereits an Deinem Halse hängen!«
    Der Kaufmann zog eine selbstgefällige Miene und antwortete:
    »Ehe ich ertrinke, mußt vorher erst Du ersoffen sein. Aber horch, man klopft! Das Essen ist aufgetragen. Komm! Wir dürfen nicht warten lassen!«
    Sie begaben sich in das Nebenzimmer. Wie ganz anders sah es da aus als am Mittag bei dem armen Hauser! Dort hatte es nur schlechte Kartoffeln mit Salz gegeben. Hier erfüllten Wohlgerüche das Zimmer, und die Tafel brach fast unter dem Reichthume der Delicatessen, welche aufgetragen waren.
    »Komm und lange zu!« nöthigte der Kaufmann.
    Da aber

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