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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ein Paquet zur Post gegeben, welches der Briefträger noch heute bringen wird. Die Einladungskarte liegt dabei. Sie nun haben dafür zu sorgen, daß Ihre Tochter auch wirklich kommt.«
    »O, die wird kommen! So Etwas macht Jede gern mit!«
    »Hm! Wenn sie aber nun doch nicht will?«
    »So wird sie müssen!«
    »Pah! Selbst ein Vater kann seine Tochter nicht zu Allem zwingen. Ich habe so eine Ahnung, daß sie gute Gründe hat, sich zu weigern.«
    »Von solchen Gründen weiß ich nichts.«
    »Hat sie keinen Geliebten?«
    »Nein.«
    »Ich denke, der Hauser läuft ihr nach?«
    »Es ist möglich, daß der eine Absicht hat; aber gesagt hat er ihr noch kein Wort davon, und ich würde das auch ganz und gar nicht dulden.«
    »Da sind Sie klug und weise. Also, versprechen Sie mir, daß die Engel kommt?«
    »Sie kommt sicher.«
    »So verlasse ich mich also darauf. Und da will ich denn einmal so nachsichtig sein und Ihnen den Fadenbruch verzeihen.«
    »Und der Abzug?«
    »Auch davon will ich absehen. Hier haben Sie fünf Gulden.«
    Er gab ihm das Geld, und Hofmann ging fort, ganz glücklich, erstens darüber, so leichten Kaufes davongekommen zu sein, und sodann darüber, daß seine Tochter auserwählt war, von so feinen Herrschaften zum Ball geladen zu werden.
    »Wie werden sich die anderen Mädels ärgern, wenn sie es hören!« murmelte er vor sich hin. »Es giebt keine Zweifel: er ist vernarrt in sie, verliebt, ganz und gar verliebt. Es ist wahr, sie ist ein Bild sauberes Weibsen, und ich bin überzeugt, daß er sie heirathen wird. Aber dann, ja dann! Dann gucke ich keinen Nachbar mehr an!«
    Und der Kaufmann blickte ihm unter einem schadenfrohen Lächeln nach und brummte:
    »Dummkopf, der Du bist! Wer weiß, was für Luftschlösser der Kerl jetzt baut! Ja, ein schönes Mädchen ist sie. Sie wird die Schönste von Allen sein. Und nun gar als Italienerin! Diese Tracht! Kurzes Röckchen, offenes Mieder, tief ausgeschnitten! Dazu das Tanzen, der Wein, der Grog, den sie nicht gewohnt ist. Das wird ein famoser Abend!«
    In diesem Augenblicke war es, daß der Schlitten, welchen Hauser und der alte Barbier gesehen hatten, herbei gesaust kam. Er hielt vor dem Hause.
    »Donnerwetter, der Onkel!« sagte der Kaufmann zu sich selbst. »Das ist eine Ueberraschung! Da ist irgend etwas Wichtiges im Werke!«
    Er eilte hinaus, um den Ankömmling zu empfangen. Dieser hatte bereits die Decken von sich geworfen und den Schlitten verlassen. Er öffnete die Arme und sagte in salbungsvollem Tone: »Ich komme wie der Engel des Herrn zu Abraham in den Hain Mamre. Sei gegrüßt in dem Herrn, Du Sohn meines geliebten Bruders!«
    Sie umarmten und küßten sich.
    »Willkommen, Onkel!« sagte Seidelmann. »Du überraschst uns auf die angenehmste Weise. Wer hätte Dich erwartet!«
    »Der Herr machet seine Boten zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen! Wer kann seine Wege begreifen und seine Absichten erforschen! Wo ist Dein Vater, mein lieber Fritz?«
    »In seinem Zimmer. Komm, laß Dich führen!«
    Er geleitete ihn in das Haus und führte ihn die Treppe empor. Dort aber kam ihnen bereits sein Vater entgegen, welcher die Ankunft des Schlittens bemerkt hatte.
    »Willkommen!« sagte er. »Alle Teufel, welcher Wind bringt denn Dich so unerwartet geweht?«
    Der fromme Mann machte eine Gebärde des Schreckes und antwortete:
    »Fluche nicht, mein Bruder! Wer den Fürsten der Finsterniß im Munde führt, der ist ihm bereits verfallen!«
    »Du meinst den Teufel?«
    »Ja, ich meine den Versucher von Anbeginn, welcher ein Gegner Gottes ist in Ewigkeit.«
    »Papperlapapp! Solches Zeug verfängt nicht bei mir! Komm, tritt jetzt herein, und wärme Dich! Das Mittagessen wird sogleich aufgetragen werden.«
    Es war eigenthümlich, die Familienähnlichkeit zu bemerken, welche diese drei Männer zur Schau trugen. Die Brüder sahen sich zum Verwechseln ähnlich, und der Sohn paßte ganz genau zu ihnen wie der halbwüchsige Alligator zu den alten Krokodilen.
    Der Gast machte es sich bequem, zog seine Dose hervor, nahm eine Prise und fragte dann:
    »Wie geht es Euch hier? Man hat ein Geschrei gehört in dem Gebirge Bethlehem und ein Wehklagen auf den Höhen. Die Zeitungen schreiben, daß hier oben die Menschheit vor Hunger sterbe.«
    »Vor Hunger?« fiel der Kaufmann ein. »Sage doch lieber, vor Faulheit!«
    »Ich glaubte es nicht. Der, welcher fünftausend Mann speiste mit drei Broden und zween Fischen, so daß noch ganze zehn Körbe mit Brocken gesammelt wurden, wird auch

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