Der verlorne Sohn
an.
»Herein,« wurde geantwortet.
Als er eintrat, saßen die beiden Brüder beisammen, und Fritz befand sich bei ihnen.
»Was wünschen Sie?« fragte der Vater streng.
»Ich wollte Sie ersuchen, sich doch gütigst einmal die –«
»Ah, die vier Stücke Kleiderstoff ansehen?« unterbrach ihn der Kaufmann rasch.
»Ja.«
»Das ist nicht nöthig. Mein Sohn hat mich bereits von dem Vorgefallenen unterrichtet. Seine Augen sind ebenso scharf wie die meinigen. Sie kommen noch sehr gut weg.«
»Aber, Herr Seidelmann, ich weiß von keinem Fadenbruch etwas, und ich gestehe, daß wir ohne einen Kreuzer sind und weder Feuerung noch Lebensmittel in dieser Kälte mehr besitzen!«
»Was geht mich das an! Arbeitet besser! Sie haben in vierzehn Tagen drei volle Stück fertig gemacht. Das ist unmöglich, wenn man sorgfältig arbeitet. Bei solcher Ueberstürzung muß ja die Lüderlichkeit fertig werden.«
»Herr Seidelmann, ich habe Tag und Nacht gearbeitet, weil Sie uns die hundertzwanzig Gulden gekündigt haben!«
»Weiß schon, weiß schon! Es bleibt bei der Bestimmung meines Sohnes. Sie erhalten keine Arbeit mehr. Und wenn bis Ende des nächsten Monats die gekündigte Summe nicht gezahlt wird, so nehme ich Ihrem Vater die Bude weg.«
»Mein Gott! Das wäre ja die reine Grausamkeit!«
Da erhob sich der Armenpfleger, streckte die Hände weit von sich und sagte:
»Herr, behüte mich in Gnaden! Das ist auch Einer von der Rotte Korah, Datham und Abiram! Er lästert die wahren Gläubigen und ärgert die Kinder der Gerechten. Hebe Dich von uns, sonst lasse ich Feuer und Schwefel regnen über dieses Gomorrha der Lüderlichkeit und des Leichtsinns!«
Eduard fühlte etwas, was nicht Abscheu allein, sondern auch Eckel war. Er ging. Es war ihm ganz wüst im Kopfe, und das Herz wollte ihm brechen. Unterwegs – er konnte nicht anders, er konnte nicht weiter, die Glieder wurden ihm so schwer – unterwegs setzte er sich in den tiefen Schnee, legte das Gesicht in die kalten, frierenden Hände und weinte wie ein Kind.
Er hätte da sitzen bleiben können die ganze Nacht. Vielleicht wäre die Starre des Frostes über ihn gekommen und hätte ihn einschlafen lassen auf Nimmererwachen. Aber da dachte er an die Seinigen, an die alten Eltern und auch an die kleineren Geschwister. Er raffte sich wieder empor und ging nach Hause.
Dort erzählte er, was ihm widerfahren war. Diese Nachricht brachte großen Schreck hervor. Die Mutter rang die Hände, und die Brüder und Schwestern weinten. Der Vater hatte wortlos zugehört: jetzt faltete er die Hände und sprach:
»Auf, auf, gieb Deinem Schmerze
Und Sorgen gute Nacht!
Befiehl Gott, was das Herze
Betrübt und traurig macht!
Bist Du doch nicht Regente,
Der Alles führen soll;
Gott sitzt im Regimente
Und führet Alles wohl!«
Welch ein Unterschied zwischen diesem armen Weber, dessen Frömmigkeit ohne Falsch war, und jenem Heuchler, der Eduard mit Worten, der Heiligen Schrift entlehnt, die Thür gezeigt hatte.
»Du hast recht, Vater,« sagte die weinende Frau; »wir müssen uns auf Gott verlassen. Aber wird er selbst kommen, um uns Brod, Kohlen und Holz zu geben?«
»Brod haben wir nicht,« antwortete Hauser; »aber haben wir nicht noch Kartoffeln?«
»Nur einen ganz kleinen Rest noch.«
»So werden unsere Kinder heute nicht hungern. Koche sie!«
»Womit? Hier in der Stube ist es jetzt ebenso kalt wie draußen auf der Gasse!«
»Ich gehe zum Nachbarn Hofmann. Er wird mir einige Kohlen borgen. Giebt Gott dem reichen Baron von Helfenstein die Kohlen in solchen Mengen umsonst, so kann er auch mir einige Stückchen schenken, um dem Nachbar die Schuld zu bezahlen.«
Er nahm einen Korb und ging. Eduard wußte kaum, was er dachte und was er that. Die Stube mußte unbedingt geheizt werden. Der Nachbar hatte selbst nichts übrig. Für wenige Kreuzer Kohlen, wie lange konnten sie vorhalten? Der junge Bursche setzte seine Mütze wieder auf, holte sich die kleine Handsäge aus dem Gewölbe und schritt dann zum Städtchen hinaus dem Walde zu.
Was wollte er dort? Er gab sich keine bestimmte Rechenschaft darüber. Viele arme Leute gingen in den Wald, um ganze Körbe voll Lesholz heimzutragen. Aber das geschah im Sommer. Jetzt konnte man unter dem Schnee nicht suchen. Andere wieder gingen des Nachts hinaus, holten sich ganze Stämme und spalteten sich ihr Winterholz daraus. Auch jetzt gab es noch genug abgestorbene Bäumchen und Bäume, deren Holz trocken genug war, um sogleich als Feuerung
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