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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nichts im dem Magen. Komm, Bursche! Wenn wir wacker durch den Schnee stampfen, wird Dir’s wärmer werden.«
    Er schickte sich an, weiter zu gehen, aber nicht in der Richtung des Städtchens, sondern in derjenigen, welche nach dem Forsthause führte. Deßhalb sagte Eduard: »Dann gute Nacht, Herr Förster. Sie wollen mich also nicht zur Anzeige bringen?«
    Der Alte hielt seine Schritte an und antwortete:
    »Zur Anzeige? Mensch, für wen oder was hältst Du mich? Denkst Du etwa, ich hätte kein Herz unter dem Kamisole? Hätte ich Dich mit dem Stamme getroffen, den Du glücklicher Weise stehen gelassen hast, weiß Gott, ich hätte Dich aus Pflicht, anzeigen müssen, so leid es mir in tiefster Seele gewesen wäre; aber Du bist nicht zum Spitzbuben geworden, und so kann es mir gar nicht einfallen, Dich noch tiefer in das Elend zu stürzen. Und von wegen dem ›Gute Nacht, Herr Förster‹, das laß nur fein sein! Ich selbst bin auch nur ein armer Teufel; ich habe außer einigen Deputaten nur dreihundert Gulden Gehalt und ein Stückchen armes Feld, aber es wächst doch immer Einiges darauf, und für eine brave Familie, welche hungern und frieren soll, liegt gern ein Stückchen Brod in meinem Schranke!«
    Eduard fühlte sich tief gerührt, und dennoch sagte er zögernd:
    »Herr Förster –«
    »Was denn, was?«
    »Das Betteln ist uns noch niemals in –«
    »Halte den Schnabel, Junge!« fiel ihm der Alte schnell und polternd in die Rede. »Was kommt Dir in den Sinn! Habe ich Dich und die Deinen jemals als Bettler, Strolche und Lumpen betrachtet? Mach keine Spinnefixereien! Wir Menschen sollen keine Steine sein, sondern eben Menschen. Wir sollen einander aus der Noth helfen. Der Heiland hat aus sieben Brocken fünfhundert Brode gemacht, oder waren es gar fünftausend, nämlich dort am See Elisabeth oder Nazareth; das bringe ich nun zwar nicht fertig, aber ich kann aus Broden Brocken machen, und einen davon sollst Du mit nach Hause nehmen. Also komm, und vorwärts marsch!«
    Er ging voran, und Eduard folgte ihm. Wie war dem Letzteren sein Herz, welches vorher so schwer gewesen war, so leicht geworden! Er hatte die Versuchung überwunden, und der Lohn war sofort gefolgt: Er hatte die Verheißung, den hungernden Seinen eine Speise mitbringen zu können.
    Als sie an die Stelle gelangten, wo der schmale Waldpfad auf die breitere Fahrstraße mündete, welche an dem Forsthause vorüber führte, blieb der Alte lauschend stehen und sagte: »Horch! Hörst Du Etwas?«
    »Ja; Schellengeläute.«
    »Richtig! Da unten kommt ein Schlitten. Zu dieser Zeit und bei diesem Schnee! Das ist selten. Na, Pascher werden es nicht sein, denn die hängen keine Schellen und Klingeln an die Pferde.«
    Sie schritten weiter. Die Straße ging bergan; dennoch wurden sie von dem Schlitten sehr bald eingeholt. Es schien ein Extrapost-Fuhrwerk zu sein. Der Kutscher hielt an und sagte: »Guten Abend, Leute! Sind Sie hier bekannt?«
    »Das will ich meinen,«, antwortete der Förster.
    »Nicht war, diese Straße führt nach dem Forsthause?«
    »Ja.«
    »Wie weit ist es noch bis dahin?«
    »Wollen Sie etwa nur bis zur Försterei?«
    »Ja. Dieser Herr will zum Förster Wunderlich.«
    »Zum alten Wunderlich? Der bin ich ja selber!«
    Als der tief in Pelzwerk gehüllte Herr, welcher im Schlitten saß, dies hörte, schlug er den Kragen vorn auseinander, so daß er sprechen konnte, und sagte: »Sie selbst sind der Herr Förster? Das ist mir sehr angenehm. Sind Sie vielleicht auf dem Heimwege begriffen?«
    »Ja. Hier ist’s kalt und zugig, und meine Alte wird mir eine warme Suppe in den Kachelofen gestellt haben.«
    »Darf ich mich zu dieser Suppe einladen?«
    »Warum nicht, Herr? Löffel haben wir genug, und wenn der Suppentopf etwa nicht sehr groß sein sollte, so wird Wasser zugegossen, dann wird’s wohl ausreichen.«
    »Schön! Wie lange fahren wir noch?«
    »Nur fünf Minuten.«
    »So steigen Sie mit ein!«
    »Danke! Ich kann laufen. Die Straße ist steil und der Schnee tief; ich will die Pferde nicht maltraitiren.«
    »Die sind kräftig genug. Steigen Sie nur Beide ein!«
    Der Fremde lüftete die Schlittendecke, und so meinte der Alte:
    »Na, wie Sie wollen! Ich habe warme Stiefel an und kann mich hinten auf die Pritsche setzen. Dieser Bursche aber hat seine Sommerhosen an. Nehmen Sie ihn hinein, wenn Sie wollen.«
    Eduard zögerte; aber der Fremde faßte ihn beim Arme und zog ihn hinein. Der Förster stieg hinten auf, und nun setzte sich der Schlitten wieder

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