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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Elendes suchen. Haben sie ihn gefunden?«
    »Hm! Ich vielleicht würde ihn finden!«
    »Sapperlot! Wie wollten Sie das anfangen?«
    »Zunächst würde ich mir sagen, daß er es weiß, daß man ihn entdecken will, und daß er sich also wohl hinter verschiedenen Gestalten verbergen wird. Er erscheint vielleicht in hunderterlei Weisen, bald so und bald so, bald jung und bald alt, bald mit und bald ohne Bart, bald dick und bald schlank, die Kleidung, Sprache und so weiter gar nicht mitgerechnet.«
    »Das wäre mir unbegreiflich! Man kann wohl die Kleidung verändern, weiter aber nichts. Einer Perrücke oder einem Barte sieht man es ja sofort an, ob er Natur ist oder nachgemacht.«
    »Meinen Sie? Wollen sehen!«
    Er stand vom Kanapee auf und trat an die Ofenbank, auf welcher ein gefülltes Waschbecken stand. Er tauchte einen Zipfel seines Taschentuches in das Wasser und fragte dann: »Für wie alt halten Sie mich?«
    »Vierundsechzig ungefähr.«
    »Und jetzt?«
    Er griff nach seinem Haare. Ein rascher Ruck, und er stand mit einem vollständig schwarz belockten Kopfe da.
    »Herrjesses!« rief die Försterin. »Können Sie hexen?«
    »Nein. Aber haben Sie bemerkt, daß mein graues Haar ein künstliches ist?«
    »Mit keinem Blicke!« antwortete der Förster.
    »Sie sehen ein, daß ein geheimer Polizist zuweilen auch Ursache hat, nicht erkannt zu sein. Ich bin hinreichend mit Gegenständen versehen, welche mich unkenntlich machen. Für wie alt halten Sie mich denn jetzt, lieber Vetter?«
    »Sapperlot! Für zehn Jahre jünger als vorher.«
    »Also für ungefähr vierundfünfzig. Aber jetzt?«
    Er fuhr sich mit dem nassen Zipfel seines Taschentuches rasch einige Male über das Gesicht. Die vorher blasse Farbe desselben war einem dunklen Teint gewichen. Der alte Wunderlich riß den Mund weit auf, starrte ihn verwundert an und sagte dann: »Gott stehe mir bei! Jetzt sind Sie kaum fünfzig!«
    »Und jetzt?«
    Er zog ein kleines Flacon aus der Tasche, träufelte aus demselben einige Tropfen auf das Tuch und wischte sich mit dem Letzteren langsam über das Gesicht. Sofort war die bräunliche Farbe verschwunden, und die beiden alten Leute erblickten nun ein aristokratisch feines Gesicht, welches jene schöne, aber nicht im mindesten krankhafte Blässe zeigte, die man nur an den Angehörigen höherer Stände zu bemerken pflegt.
    »Jetzt, jetzt sind Sie kaum über vierzig!« entschied der Förster. »Nicht wahr, Bärbchen?«
    Die Alte nickte zustimmend, sagte aber nichts. Was sie sah, das ging über ihren Horizont. Arndt fuhr fort:
    »Jetzt sehen Sie mein ursprüngliches Gesicht. Ich habe zahlreiche Salben und Essenzen, welche mich befähigen, dasselbe in einer Viertelstunde zehnmal zu verändern. Nehmen Sie dazu falsche Bärte und Perrücken, welche auf das Sorgfältigste meinem Gesichte und Kopfe angepaßt sind, ferner die Verschiedenheit der Tracht, der Haltung, des Ganges, der Sprache und der Geberden, so werden Sie einsehen, daß es schwer ist, mich zu erkennen, wenn ich nicht erkannt sein will.«
    »Ich bin ganz starr vor Verwunderung?«
    »Ich sage Ihnen zum Beispiel, daß ich einen Rock besitze, ein wahres Meisterstück in der Schneiderkunst, und nach meinen eigenen Angaben gefertigt, dem ich in fünf Minuten viererlei Schnitte und dreierlei verschiedene Farben geben kann, je nachdem ich ihn anziehe, auf-oder zuknöpfe und einzelne Theile einschlage oder auswerfe. Dieser Rock hat vier Ärmel anstatt zwei. Jetzt sieht mich Jemand im dunkelblauen Ueberzieher; ich verschwinde um die Ecke, und wenn er mir nachfolgt, erblickt er mich in einem kurzen, hellen Rocke, anstatt der Mütze habe ich einen Hut auf dem Kopfe und anstatt des grauen oder schwarzen Bartes einen hellblonden. Ich habe einen guten Grund, Ihnen diese Mittheilung zu machen. Können Sie ihn errathen?«
    »Nein,« antwortete der Förster.
    »Nun, er ist eigentlich nicht schwer zu entdecken. Ich werde nämlich die Gegend in verschiedenen Gestalten durchstreifen; da wird es unvermeidlich sein, daß wir einander treffen, ohne daß Sie mich erkennen. Sie müssen also vorher davon unterrichtet sein, daß ich mich verkleide, und wir müssen uns über irgend Etwas verständigen, woran wir uns erkennen.«
    »Was sollte das sein?«
    »Zunächst wenn wir uns am Tage von Weitem sehen, da werde ich mit der rechten Hand von meinem linken Ohre zum rechten greifen.«
    »Das geht. Aber des Abends?«
    »Bin ich Ihnen nahe, so daß Sie es hören können, wenn ich leise spreche, so

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