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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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belauscht zu werden?«
    »Sapperlot, das klingt ja außerordentlich geheimnißvoll! Der Bursche schläft wie ein Ratz; ihn brächten zehn Pferde jetzt nicht aus den Federn. Und der Alte, der schläft zwar leiser, aber dem fällt es im ganzen Leben nicht ein, seine Herrschaft zu bespioniren. Der ist eine höchst treue und ehrliche Haut.«
    »So will ich also aufrichtig sein. Sie werden sich wundern, wie ein völlig fremder Mensch mit zwei Koffern um diese Zeit seinen Einzug bei Ihnen halten kann; aber ich will zu meiner Entschuldigung sagen, daß ich von einem Manne geschickt werde, welcher behauptet, ein sehr guter Freund von Ihnen zu sein.«
    »Ein sehr guter? Hm! Ich bin in meinem ganzen Leben mit dem Worte Freund nicht sehr freigebig gewesen. Die Menschheit ist es nicht mehr werth. Mein liebster Freund ist mir hier mein altes Bärbchen. Es giebt hier wohl auch Viele, sehr Viele, die mir gewogen sind, aber Freund, und noch dazu ein sehr guter Freund, da giebt es wirklich nur einen Einzigen, den ich so nenne.«
    »Darf ich fragen, wer das ist?«
    »Warum nicht! Es ist der alte Brandt, der früher Förster in Helfenstein war.«
    »Jetzt wohnt er in der Residenz?«
    »Ja, ja. Kennen Sie ihn?«
    »Sehr gut. Er ist jetzt Portier oder so Etwas beim Fürsten von Befour. Das heißt, er hat die Aufsicht über den Eingang, welcher durch ein Häuschen der Siegesstraße nach dem Garten des fürstlichen Palais führt, welches in der Palaststraße liegt.«
    »Stimmt, stimmt! Waren Sie dort?«
    »Jawohl!«
    »Ich auch. Vor einigen Wochen überkam mich eine ungeheure Sehnsucht nach meinem alten Brandt, und wahrhaftig, ich habe meine Alte im Stiche gelassen, um auf vier Tage nach der Residenz zu gehen. Also, der hat Sie geschickt?«
    »Ja. Er sagte mir, daß Sie mir die Thüre nicht weisen würden, wenn er mich zu Ihnen sendete.«
    »Richtig! Fällt mir gar nicht ein! Willkommen und abermals willkommen, Herr! Hast Du die Koffer in das Stübchen schaffen lassen, Barbara?«
    »Sogleich, als sie ankamen.«
    »Und auch Alles hübsch vorgerichtet? Den Ofen feuern lassen?«
    »Natürlich, Alter!«
    »Nun, so laufe geschwind und sieh nach, ob es noch etwas Eßbares im Hause giebt, oder ob der Eduard Alles mitgenommen hat! Sie müssen nämlich wissen, daß mein Bärbchen das Letzte hingeben kann, wenn sie sieht, daß sich Jemand in der Noth befindet.«
    Die Försterin wollte sich entfernen; der Fremde aber fiel schleunigst ein:
    »Halt! Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nicht hungrig bin, und wenn es bei Ihnen mit dem Abendbrode nicht ganz und gar eilt, so möchte ich Ihnen erst sagen, warum ich zu Ihnen gekommen bin.«
    »Wenn Sie nicht anders wollen, nun, mein Hunger ist auch nicht riesig. Also, haben Sie einmal geladen, so schießen Sie auch los!«
    »Setzen Sie sich hier neben mich. Das Kanapee ist groß genug, für uns Drei.«
    Der Förster warf seiner Frau einen Blick zu, welcher seine ganze Befriedigung darüber aussprach, daß dieser vornehme Herr mit ihnen auf dem gleichen Platze sitzen wollte. Sie ließen sich neben ihm nieder, und als das geschehen war und der alte Wunderlich seine Pfeife bedächtig zu stopfen begann, fragte der Fremde: »Kennen Sie die Vergangenheit des alten Försters Brandt?«
    »Warum sollten wir nicht!« antwortete der Alte, indem er den Tabaksbeutel zuzog. »Ich war ja lange Jahre Brandt’s Reviernachbar, ehe ich nach hier versetzt wurde.«
    »So kennen Sie auch die Geschichte von seinem Sohne?«
    »Von dem Gustav, dem Polizisten? Wohl kenne ich sie; aber mein lieber Herr, ich spreche nicht gern davon.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es meinen alten Kopf zu sehr angreift und mein Herz noch vielmehr. Wir haben auf den Gustav große Stücke gehalten; er war ein braver Junge und ein tüchtiger Beamter, mit dem die Vorgesetzten trotz seiner Jugend sehr zufrieden waren. Was hätte aus ihm werden können! Und da, da kam der verdammte Doppelmord dazwischen!«
    »Er hat die That also wirklich begangen?«
    »Der? Herr, was fällt Ihnen ein! Der ist so unschuldig gewesen wie die liebe Sonne am Himmel! Herrgott, war das ein Jammer und ein Herzeleid, als es hieß, der Gustav habe die Beiden ermordet und sei eingesperrt worden! Wir haben ihn lieb gehabt, gerade als ob er unser eigenes Kind gewesen wäre, und da auf einmal – Mohrenelement, sehen Sie, da ist es bei meiner Alten rein alle! Da hat sie gleich die Schürze am Gesichte! Wenn ich sie zum Schluchzen bringen will, so darf ich nur von dem Gustav

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