Der verlorne Sohn
Angelegenheiten, aber ich will Dir sagen, daß Gott alles Herzeleid zu stillen vermag. Hat man wo sein ganzes Herz gelassen, so mag es wehe thun, wenn es verschmäht wird; aber die menschliche Liebe ist doch nur ein geringes Abbild der Liebe Gottes, und der heilige Apostel sagt ja: An Ihm laßt Euch genügen. Und irgendwo anders, ich glaube, es ist in den Psalmen, sagt die heilige Schrift: Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist Du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Theil! Kommst Du mit herein zu uns, Eduard?«
Sie waren, als der Vater diese Worte sagte, bei ihrem Häuschen angekommen.
»Nein, Vater. Ich gehe in den Wald.«
»In den Wald? Was hast Du da zu thun?«
Er fragte das im Tone des Erstaunens. Er hätte beinahe ein Mißtrauen hegen mögen, wenn er es überhaupt für möglich gehalten hätte, daß sein guter, wohlgerathener Sohn falsche Wege gehen könne.
»Ich habe gar nicht daran gedacht, daß ich des Försters Schlitten noch hier habe. Ich will ihn hinausschaffen.«
»Warum heute Abend noch? Es ist ja morgen am Tage noch Zeit!«
»Laß mich, Vater! Wenn ich so allein mit mir bin, kann ich meinen Gedanken ganz anders nachhängen.«
»Ganz wie Du willst. Nur laß uns nicht zu lange auf Dich warten. Bei diesem Schnee ist bald ein Unglück geschehen.«
Der Schlitten stand hinter dem Häuschen. Eduard spannte sich vor und fuhr zum Orte hinaus.
Arndt war direct aus der Versammlung nach Hause gegangen. In der Försterei wartete das Abendbrot auf ihn. Als sie bei demselben saßen, meinte der alte Wunderlich: »Nun, was hat er vorgebracht?«
»Nichts Gescheites und Positives. Ich glaube sehr, daß es auf eine Geldprellerei abgesehen ist.«
»Das mag möglich sein. Diesem Hallunken ist Alles zuzutrauen. Er hat wohl Missionsgelder eingesammelt?«
»Ja.«
»So soll der Teufel den Kerl holen, wenn er die armen Hungerleider um ihre Kreuzer prellt. Ich hänge ihn lebendig bei den Beinen auf, mit dem Kopfe in einen Ameisenhaufen!«
»Das würde Ihnen jetzt im Winter schwer werden, lieber Vetter!«
»So warte ich den Sommer ab; aber hängen muß er! Wohin?«
Diese Frage war an Arndt gerichtet, der sich vom Tische erhob.
»In meine Stube,« antwortete er. »Bekümmert Euch nicht um mich. Es ist möglich, daß ich einmal in den Wald gehe.«
Draußen auf dem Flur begegnete ihm Eduard, welcher dem Förster melden wollte, daß er den Schlitten gebracht habe. Er dankte auf den Gruß, den ihm der junge Mann sagte, und stieg dann die Treppe empor. Droben in seiner Stube trat er an das Fenster und blickte hinaus auf die schneehelle, winterliche Landschaft. Er mußte etwas Auffälliges entdeckt haben, denn er murmelte: »Was ist das? Hm! Täusche ich mich etwa?«
Er trat ein Wenig vom Fenster zurück, um auf keinen Fall gesehen zu werden, und blickte wieder hinaus.
»Ja, das ist eine menschliche Gestalt, in ein weißes Betttuch gehüllt!« fuhr er fort. »Der Kerl scheint das Forsthaus zu beobachten. Oder sollte er vielleicht auf den Eduard Hauser warten? Wollen doch einmal sehen!«
Er öffnete rasch einen Koffer, steckte ein Betttuch und einige Bärte zu sich und nahm auch zwei eigenthümliche Gegenstände hervor, über deren Bestimmung der Uneingeweihte sicherlich nicht in’s Klare gekommen wäre. Es waren nämlich zwei Schneeschuhe, nicht so lang wie die in Norwegen gebräuchlichen, aber desto breiter.
Er eilte hinab, trat durch die vordere Thür und legte da die Schneeschuhe an, mit deren Hilfe man in größter Geschwindigkeit, völlig geräuschlos und ohne eine auffallende Spur zu hinterlassen, über den tiefsten Schnee hinwegzugleiten vermag.
Dann wickelte er das weiße Betttuch um sich und setzte sich in Bewegung. So schnell wie auf Schlittschuhen schlug er einen weiten Bogen um das Forsthaus, in der Absicht, hinter die Gestalt zu gelangen, die er bemerkt hatte.
Hier war der Wald nicht dicht. Der Schnee lag selbst zwischen den Bäumen über eine Elle hoch; darum kam Arndt außerordentlich schnell vorwärts. Als er den Ort erreichte, nach dem er getrachtet hatte, nahm er das Tuch wieder ab. Dieses gewährte auf freiem Feld mehr Schutz, als zwischen den Bäumen. Im freien Felde war es nicht von dem Schnee zu unterscheiden, im Walde aber stach es so von den dunklen Baumstämmen ab, daß der Träger Gefahr lief, bemerkt zu werden. Dies war ja auch schuld gewesen, daß Arndt die Gestalt bemerkt hatte.
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