Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Gesellschaft, noch wurden Sie von der Obrigkeit eingesetzt, die Verhältnisse unserer Casse zu controlliren!«
    »Wohl. Aber immer widersprechen Sie sich doch! Warum sammeln Sie, wenn Sie jetzt behaupten, daß man mit Wohlthaten dem Herrn vorgreife?«
    »Gottes Befehl wird schon an uns ergehen!«
    »Wie und auf welche Weise gedenken Sie solche Befehle von Gott zu empfangen?«
    »Durch die Stimme unseres Herzens.«
    »Nun gut, so lassen Sie Ihr Herz für diese Frau sprechen, und geben Sie ihr einen Theil der Summe, welche Sie heute eingesammelt haben!«
    »Das geht nicht. Wir wirken im Verborgenen. Kein Mensch, der Etwas von uns empfängt, darf wissen, von wem es ist. Christus gebietet ja: Laß Deine linke Hand nicht wissen, was die rechte thut!«
    »Sie gebrauchen da dieses Christuswort auf eine vollständig verkehrte Weise. Und sodann: Wenn Sie nur im Verborgenen wohlthun, geben Sie wahrscheinlich auch keinem Menschen Rechnung über Ihren Cassenstand. Ich warne Sie sehr vor der Verantwortung! Unsere allerärmsten Leute haben ihre letzten Kreuzer hergegeben. Es wäre eine fürchterliche Sünde, diese Scherflein anders anzuwenden, als die Spender gedacht haben!«
    Da trat der Schuster auf den Pfarrer zu und sagte:
    »Herr Pastor, haben Sie heute meinen Vortrag gehört?«
    »Ja. Jedenfalls haben Sie gesehen, daß ich anwesend war!«
    »So haben Sie wohl auch bemerkt, daß ich wenigstens ein ebenso guter Redner bin wie Sie. Sie sind mir auf keinen Fall überlegen. Ich bin ein Christ, aber Sie gehören nicht zu unserem Vereine. Sie haben hier kein Wort zu sprechen.«
    »Sie sind ein Christ, wie Sie sagen, ich aber bin ein christlicher Seelsorger; als solcher habe ich die heilige Pflicht, Sie zu warnen, wenn ich Sie in Gefahr sehe. Uebrigens sind wir einstweilen fertig. Für diese Frau ist gesorgt.«
    Seidelmann, der Kaufmann, der sich mit dem Priester doch nicht gern verfeinden wollte, näherte sich und fragte:
    »Sie wollen sie doch nicht für immer bei sich behalten?«
    »Nein, das ist nicht nöthig. Aber ich werde dafür sorgen, daß die Bewohner des Armenhauses nicht mehr zu betteln und zu hungern brauchen.«
    »Na, na, Herr Pfarrer! Wie wollten Sie das anfangen? Unsere Gemeinde ist zu arm, als daß sie mehr thun könnte, als bisher.«
    Es war ein wirklich seliges Lächeln, welches sich über das Gesicht des braven Geistlichen breitete, als er jetzt antwortete:
    »O, ich habe Geld!«
    »Sie? Sie sind ja arm, soviel ich weiß!«
    »Das bin ich auch; aber es hat sich ein mildthätiges Herz gefunden, von dem ich eine Summe für unser Armenhaus eingehändigt bekommen habe.«
    »Sapperlot! Das wäre! Wie viel?« fragte da rasch der Schuster.
    »Ich durfte mich um Ihre Casse nicht bekümmern, mein Herr; ich bitte, auch mit der meinigen machen zu können, was mir beliebt.«
    »O, das steht anders. Bei mir handelt es sich um die Casse eines Vereins, bei Ihnen aber um eine communale Angelegenheit. Mein Bruder, der Herr Kaufmann Seidelmann hier, hat das Armenwesen des hiesigen Ortes zu leiten. Unter seiner Direction befindet sich auch das Armenhaus. Sie werden ihm das, was Ihnen eingehändigt wurde, auszuliefern haben.«
    »Wohl nicht. Der Geber hat mir die Summe in Verwaltung gegeben; nur ich habe zu bestimmen, in welcher Weise über sie verfügt werden soll.«
    »So ist diesem Geber das Gemeindestatut unbekannt. Wer ist der Mann?«
    »Auch hierüber bin ich Ihnen keine Auskunft schuldig; aber aus Höflichkeit gegen die übrigen Herren will ich Ihnen sagen, daß heute der Fürst des Elendes bei mir gewesen ist.«
    Nach diesen Worten herrschte einige Augenblicke lang tiefe Stille im Zimmer. Diesen Namen hatte Niemand zu hören erwartet. Die Seidelmanns waren Beide bleich geworden. Sie warfen einander einen sehr bezeichnenden Blick zu, und dann endlich sagte der Kaufmann:
    »Der Fürst des Elendes? Unmöglich!«
    »Warum unmöglich?«
    »Der ist ja in der Residenz!«
    »Sollten Sie wirklich nicht gelesen haben, daß er seit vorgestern und gestern uns sehr nahe gerückt ist?«
    »Es hat sich Jemand einen Spaß gemacht!«
    »Das glaube ich nicht annehmen zu dürfen. Eines einfachen Spaßes wegen giebt man nicht Tausende aus.«
    »Tausende? Alle Teufel! Soviel haben Sie erhalten?«
    »Ja.«
    »So muß es allerdings Ernst sein. Wie sah er aus?«
    »Ich weiß nicht, ob ich befugt bin, Antwort auf diese Frage zu geben. Der edle Spender hat mir nicht ausdrücklich gesagt, daß ich sein Äußeres beschreiben darf.«
    »Aber

Weitere Kostenlose Bücher