Der verlorne Sohn
die Unschuld seiner Tochter an’s Licht bringen!«
»Hoffentlich! Aber für den Vater ist’s doch zu spät!«
»Zu spät? Wieso?«
»Nun weil er – todt ist!«
Die beiden letzten Worte raunte er den Alten in die Ohren. Diese erschraken auf das Heftigste.
»Unmöglich!« sagte der Weber. »Unmöglich!«
»Nein, wirklich! Ich habe ihn ja gesehen!«
»Gesehen? In der Amtsstadt?«
»Nein, sondern auf dem Gottesacker hier, im Leichenhause.«
»Das kann ich nicht begreifen!«
»Wir Alle auch nicht. Er hat heute Morgen im Leichenhause gesessen todt, und seine Frau im Arme. Sie hat in den Händen ein Papier gehabt, welches viele Gulden werth gewesen ist.«
Das größte der Kinder, ein Mädchen von dreizehn Jahren, hatte doch die vorigen leisen Worte des Barbiers so ziemlich genau vernommen. Sie hörte auch die anderen Reden. Es kam ihr eine Ahnung, nein, ein Verständniß, ein fürchterliches Verständniß. Sie sprang von ihrem Sitze auf und schrie: »Mein Vater, mein Vater ist im Leichenhause! Er ist auch todt!«
Bei diesen Worten eilte sie zur Thür hinaus.
»Herrgott, sie hat’s gehört, sie hat’s verstanden!« rief der Barbier.
Auch die anderen Kinder jammerten und wollten fort; sie wurden aber zurückgehalten. Der alte Weber zog seinen Rock an und sagte zu Eduard: »Komm, mein Sohn; laß uns sehen, ob diese Trauerkunde wahr ist!«
»Sie ist wahr!« versicherte der alte Barbier. »Ich war ja dort.«
»So wollen wir gehen, um das Kind zu holen!«
Als sie auf den Kirchhof gelangten, befanden sich viele Leute daselbst. Das Kind lag vor den starren Eltern auf der Erde und schien selbst todt zu sein. Es wurde viel hin und her gesprochen. Der Weber aber machte die Thüre zu, trat zu der Leiche des Schreibers, legte ihr die Hand auf den Kopf und sagte:
»Sieh, ich lege meine Hände
Segnend auf Dein todtes Haupt.
Selig ist, wer bis ans Ende
An die ewge Liebe glaubt.
Selig, wer aus Herzensgrunde
Nach der Lebensquelle strebt
Und noch in der letzten Stunde
Seinen Blick zum Himmel hebt.
Suchtest Du noch im Verscheiden,
Droben den Erlösungsstern,
Wird er Dich zur Wahrheit leiten
Und zur Herrlichkeit des Herrn!«
Dann nahm er das Kind bei der Hand, zog es liebevoll an sich und sagte in tröstendem Tone:
»Ja, weine, meine Tochter! Thränen machen das Gewissen leicht und werden von den Engeln gezählt. Aber kommt weg von dieser Stätte des Todes. Du siehst Deinen Vater nicht zum letzten Male, sondern Du wirst ihn wiedersehen, hier und dort oben in der Ewigkeit!«
Die müßigen Gaffer waren zurückgetreten. Hauser rief den Todtengräber herbei und sagte:
»Warum lässest Du Jedermann hier eintreten? Hier ist Gottes Stätte. Siehe die Todten an! So sterben nicht die Gottlosen. Und der Ort, da ein Seliger ruht, soll nicht sein ein Schauplatz der Neugierde und der Klatscherei!« –Kurz nach dem Mittagessen machte sich Eduard nach der Nachbarstadt auf, um seinen Domino zu holen. Unterwegs traf er auf einen Reiter, den er mit Verwunderung anschaute. Das Pferd war kaum zwanzig Gulden werth und hatte weder Sattel noch Zaum. Der Reiter war alt. Er hatte eisgraue Kopf-und Barthaare, trug eine alte, zerrissene Pelzmütze, eine gestreifte Jacke, kothige und vielfach geflickte Hosen und dazu Filzschuhe. Aus dem Munde hing ihm eine Tabakspfeife mit einem riesigen Kopfe.
»Guten Tag, Alter!« grüßte Eduard, ihm freundlich zunickend.
»Schönen Dank, Junger! Wohin?«
»Hier nach der Stadt.«
»Ich auch.«
»Woher des Wegs?«
»Aus dem Bette heute früh, heute Abend wieder hinein.«
»Mit sammt dem Gaule?«
»Wenn Du den Dritten machen willst, ja.«
»Habe keine Lust!«
»Bist wohl ein vornehmer Kerl?«
»Beinahe!«
»Ja, das sieht man Dir an! Wer Maskenbälle mitmachen kann, der muß Geld in der Tasche haben! Nicht?«
Dabei blinzelte er ihm mit den Augen zu und nickte mit dem Kopfe. Eduard blickte ihn erstaunt an und sagte: »Was wirst Du von Maskenbällen wissen!«
Er hatte diesen Alten noch niemals gesehen. Wie konnte dieser eine Ahnung haben, daß er heute auf die Maskerade wollte?
»Mehr wie Du!« lautete die Antwort. »Nimm Dich heute Abend in Acht! Du gehörst ja gar nicht dazu!«
»Höre, Du bist wohl toll? Wer bist Du eigentlich?«
»Fürst – Fürst des – das Andere sage Dir selbst, Junge! Und ein anderes Mal mache die Augen besser auf!«
Er hatte weder Zügel noch Bügel, noch Sporen; das Pferd schien aber doch ganz und gar in seiner Gewalt zu sein, denn es stieg vorn in die
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