Der verlorne Sohn
Allerwenigsten!
Die Zeit verging, und die Gesellschaft wurde immer lustiger und lustiger. Einige Paare hatten sich erkannt, Andere wieder nicht. Um Mitternacht sollte Demaskirung sein. Jetzt war es zehn Uhr. Da trat Seidelmann zu Eduard heran und raunte ihm zu: »Jetzt kannst Du gehen!«
»Will sie denn mit?«
»Ja. Ich glaube, daß der Champagner gewirkt hat. Also mache schnell, denn ich komme gleich nach!«
Er wendete sich ab, und Eduard folgte der erhaltenen Weisung. Er verließ den Saal. Draußen war die Magd, welche die Garderobe zu besorgen hatte, nicht zu sehen. Sie mochte geglaubt haben, sich entfernen zu können, da man ihrer Dienste wohl erst beim Aufbruche der Gesellschaft wieder bedurfte. Darum erreichte Eduard vollständig unbemerkt die Thür des betreffenden Stübchens, zog den Schlüssel hervor, öffnete und trat ein. Er verschloß die Thür natürlich nicht wieder.
Auf dem Tische stand ein Licht, welches, seit man es hierher gestellt hatte, fast ganz herabgebrannt war. Die Möbel waren dieselben, wie Seidelmann angegeben hatte. Zwischen dem Seitenvorhange des Bettes und der Fensterwand gab es einen freien Raum, welcher ungefähr zwei Fuß breit war. Da hinein schob Eduard einen der Stühle und nahm darauf Platz.
Der Bettvorhang verbarg ihn vollständig, und nun wartete er der Dinge, die da kommen sollten.
Bereits nach kurzer Zeit hörte er nahende Schritte. Die Thür wurde geöffnet, und Eduard vernahm Engelchens Stimme: »Hier herein? Ich wollte doch hinab, um Luft zu schöpfen.«
»Das würde nicht gerathen sein, Fräulein Hofmann,« antwortete Seidelmann. »Da unten würde Ihre Maske eine Menge neugieriger Augen auf sich ziehen. Uebrigens haben Sie zur Genüge frische Luft. Es ist ja nicht geheizt. Bitte, tretet Sie ein!«
Er zog sie sanft in das Zimmer, nahm den Schlüssel herein, steckte ihn ein, und daß er dann den Riegel vorschob, bemerkte das Mädchen gar nicht. Er führte Engelchen nach dem Sopha und sagte: »Bitte nehmen Sie einige Minuten hier Platz!«
Sie ergriff einen Stuhl, um sich darauf zu setzen, er aber zog ihr denselben weg und bemerkte dabei:»O nein! Die Königin des Festes auf einem Holzstuhle! Das könnte ich gar nicht verantworten. Bitte, bitte!«
Er schob sie bei diesen Worten auf das Sopha. Das war freilich nicht so, wie sie wollte; aber er war so höflich. Durfte sie ihn beleidigen? Das wäre undankbar gewesen. Um nur etwas zu sagen, strich sie sich mit der Hand über die feuchte Stirn und sprach: »Es war so heiß. Das viele Tanzen macht drehend, wenn man es nicht gewöhnt ist.«
»Sie tanzen also wenig?« fragte er.
Dabei setze er sich neben sie auf das Sopha. Sie rückte so weit wie möglich zur Seite und antwortete: »Sehr wenig. Vater ist kein Freund davon.«
»Um so mehr muß ich mich geehrt fühlen, daß er es Ihnen erlaubt hat, hierher zukommen! Aber bitte, wollen Sie nicht die Güte haben, Ihre Maske abzunehmen? Sie schwitzen doch!«
Er langte selbst hin, knüpfte die Schnur auf und zog ihr die Verhüllung vom Gesichte. Ein von der Anstrengung des Tanzes und vor Verlegenheit rothes Gesicht blickte ihm entgegen.
»Wie schön Sie sind, liebes Engelchen!« sagte er, indem er ihre Hand ergriff und an sein Herz drückte.
Sie erglühte noch mehr, antwortete nicht, gab sich aber alle Mühe, ihm ihre Hand zu entziehen.
»Nein, nein, lassen Sie mir dieses reizende, kleine Händchen! Ich wollte, es wäre mein Eigenthum! Sie sagten mir vorhin, daß Sie keinen Verlobten hätten. Ist das wirklich wahr?«
»Ja.«
»Auch keinen Geliebten?«
»Auch nicht.«
»So ist also Ihr Herzchen völlig frei?«
Sie blickte zur Seite und antwortete, erst nach einem Weilchen:
»Ja.«
»Aber ich habe doch von Anderen gehört, daß es Einen gebe, den Sie lieb haben, liebes Engelchen!«
»Wer sollte das sein?«
»Der junge Hauser. Hat man mich da falsch berichtet?«
»Sehr falsch!«
»Das freut mich mehr, als Sie denken können! Ich habe Sie schon seit Langem beobachtet. Ich habe gesehen, wie schön, wie lieb, wie reizend Sie sind. Ich habe gewünscht, einmal mit Ihnen allein sein zu können. Und nun heute ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen. Ich fühle mich so glücklich wie noch nie in meinem ganzen Leben!«
Er wollte den Arm um sie legen: aber es gelang ihr doch, sich ihm zu entziehen.
»Sie scherzen nur mit mir!« antwortete sie.
»Ich scherzen? In diesem Augenblicke ist es mir ganz und gar nicht wie Scherz. Ich fühle, wie lieb, wie unendlich lieb ich Sie
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