Der verlorne Sohn
über eine Viertelstunde. Er sagte sich, daß es klug sei, sich scheinbar in das Unvermeidliche zu finden. Darum sagte er endlich: »Ihr habt schlecht und treulos gegen mich gehandelt, Ihr Kerls, ganz außerordentlich treulos!«
»O, nicht schlecht, sondern nur klug.«
»Also, ich soll nicht erfahren, wo dieser Robert sich befindet?«
»Nein.«
»Oho! Warum nicht?«
»Weil Sie ihn aus der Welt schaffen würden!«
»Das fällt mir gar nicht ein.«
»O, wir kennen Sie!«
»Nein. Es würde mir genügen, wenn Ihr mir versprecht, daß er nie erfahren soll, wer er ist.«
»Wir würden dabei unsern besten Trumpf aus der Hand geben.«
»Ich bezahle ihn Euch.«
»Womit?«
»Mit Geld.«
»Das werden Sie bleiben lassen. Eine Kugel bekämen wir, aber kein Geld!«
»Seid nicht so unsinnig! Sagtet Ihr nicht, daß Ihr nie wieder nach Helfenstein zurück dürftet?«
»Ja, das ist sicher.«
»Nun, so seid Ihr ja verloren, wenn ich mich Eurer nicht annehme. Ihr seid flüchtig, vogelfrei und mittellos!«
»Sie auch, sobald man uns erwischt.«
»Pah! Noch gebe ich nicht das Geringste auf. Ich werde Euch mit Geld versehen, um Euch fortzuhelfen. Ihr sollt Euch in der Fremde eine Existenz gründen.«
»Das klingt schön, doch müssen wir erst sehen, ob das wahr ist, ob Sie auch Wort halten!«
»Ich halte Wort!«
»Das würde für beide Theile gut sein!«
»Noch glaube ich nicht, daß Eure Lage so sehr bedrängt ist. Erzählt mir einmal, wie Alles gekommen ist. Ich werde dann klar sehen und wissen, was zu thun ist. Also, wie war es damals in jener Nacht, in welcher das Schloß wegbrannte?«
Der junge Schmied erzählte alles, nur nicht, was sie dann mit dem kleinen Robert angefangen hatten.
»Wie treulos und – wie dumm!« sagte der Baron, als der Erzähler geendet hatte. »Wohin habt Ihr den Knaben gethan?«
»Davon später!«
»Meinetwegen! Hat denn damals Jemand Etwas gemerkt?«
»Nein.«
»Auch der Todtengräber nicht?«
»Die alte, ehrliche Haut? Hätte der nur das Geringste gemerkt, so wäre der Leichendiebstahl sicherlich verhindert worden.«
»Ich glaube selbst auch, daß Alles unbemerkt abgegangen ist, denn sonst hätte man die Sache nicht erst heute untersucht. Es bleibt also nur Eins zu vermuthen. Hm!«
»Was?«
»Daß man erst kürzlich entdeckt hat, daß Robert noch lebt. Vielleicht eine Familienähnlichkeit oder etwas Derartiges! Aber, da kommt mir ein Gedanke! Wie war der Junge gekleidet?«
»In sein Nachthabitchen!«
»Hat er das behalten?«
»Nein.«
»Also doch nicht, was ich vermuthete. Ich hielt es nämlich für möglich, daß er vielleicht Etwas an sich getragen hätte, was als Kennzeichen dienen könnte.«
Da gab der Alte dem Jungen einen Stoß.
»Du!« sagte er.
»Was?«
»Sollte etwa die Kette –«
»Donnerwetter! Ja, die Kette!«
»Welche Kette?« fragte der Baron schnell.
»Er trug eine Kette am Halse; die wollten wir dem armen Kerl nicht nehmen. Wir hätten für das Ding doch nicht viel bekommen, sie hätte uns vielmehr verrathen können.«
»O, Ihr Thoren, Ihr Esels! Nun hat sie es doch verrathen! Ja, so ist es, anders nicht! Was war es denn für eine Kette?«
»Sie war dünn und von Gold.«
»Nichts daran? Kein Medaillon?«
»Es hing so etwas wie ein Herz daran.«
»Ging es zum Oeffnen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Waren Buchstaben darauf?«
»Ja drei; nämlich
R.v.H.
«
»Da sollen tausend Teufel dreinschlagen! Und diese Kette habt Ihr ihm gelassen?«
»Ja. Wir haben uns nichts dabei gedacht.«
»Das war mehr als unvorsichtig; das war wahnsinnig oder gar verrückt. Nun ist freilich Alles verrathen. Man hat die Kette beobachtet; man hat geforscht – ah, wußte der Fürst des Elendes von ihr?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber jedenfalls hat er sie gesehen. Er ist es; er allein ist es, der daraus seine Schlüsse gezogen hat. Die Kette muß her; ich muß sie haben! Sie ist der einzige Beweis, den man gegen uns hat. Wo aber befindet sie sich?«
»Wie sollen wir das wissen?«
»Ihr müßt doch wissen, wo der Knabe steckt!«
»Hm! Wir haben ihn in das Findelhaus geschafft.«
»Da ist er noch?«
»Nein.«
»Wo denn? Habt Ihr ihn später im Auge behalten?«
»Ja. Ein Musikant hat ihn aus dem Findelhause geholt und als Kind angenommen, ein Musikant und Schneider.«
»Wo denn? Welches Findelhaus war es?«
»Es war in der – ah! Was denn?«
Sein Sohn hatte ihm einen so derben Rippenstoß gegeben, daß er mitten in seiner Antwort inne hielt.
»Ich glaube
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