Der verlorne Sohn
werde es hier bekommen.«
»Aber wenn man uns dennoch ergreift?«
»So leugnet Ihr bis auf’s Blut. Ihr steht unter meinem Schutze und könnt versichert sein, daß ich Euch ganz gewiß bald die Freiheit wieder verschaffe.«
»Das ist wenigstens ein Trost. Aber, dort ist das Städtchen. Wohin fahren wir?«
Der Baron zog die Uhr.
»Alle Teufel!« sagte er. »Halb Zwei! Unser Gespräch hat meine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch genommen, daß ich viel zu langsam gefahren bin. Ich darf keinen Augenblick mehr verlieren. Es ist bereits die höchste Zeit.«
Er lenkte von der Straße ab und fuhr über die Felder um die Stadt herum. Er wollte vermeiden, gesehen zu werden. Unweit des Gartens, welcher Seidelmann gehörte, hielt er an.
»Hier steigt Ihr aus,« sagte er. »Ihr schleicht Euch nach dem Schachte und geht zum Wächter Laube. Ist er nicht da, so steckt Ihr Euch in den Schuppen. Er ist voller Stroh, so daß Ihr nicht frieren werdet. Dort wartet Ihr, bis ich komme. Ihr kennt den Schuppen?«
»Ja. Aber Sie werden gewiß kommen?«
»Ganz sicher! Laßt Euch nur nicht sehen oder vielleicht gar ergreifen. Heute gilt es, doppelt vorsichtig zu sein.«
Sie stiegen aus und entfernten sich. Auch er verließ den Schlitten. Er hatte bei einem kleinen Gehölze angehalten, zog einen Strang los und band die Zügel an einen jungen Baumstamm. Dabei brummte er vor sich hin:»Wie gut, daß ich verboten habe, das Schellengeläute anzulegen. Das würde mich verrathen.«
Und ein halblautes, höhnisches Lachen ausstoßend, setzte er hinzu:
»Diese dummen Kerls! Mich haben sie betrügen wollen und werden nun selbst die Betrogenen sein. Sie sind die einzigen directen Zeugen; das Andere ist Alles nur Vermuthung. Sie müssen also ebenso verschwinden, wie die Kette und der Fürst des Elendes verschwinden wird. Doch vorwärts jetzt!«
Er begab sich nach dem Gartenzaune und stieg darüber. Hinten war ein Fenster erleuchtet. Er klatschte leise in die Hände und wurde doch sofort gehört. Der Kopf eines Mannes erschien an der hellen Scheibe. Sofort griff er mit der rechten Hand nach dem rechten Auge. Das Fenster wurde geöffnet, und eine halblaute Stimme fragte: »Wer ist’s?«
»Der Hauptmann!«
»Sakkerment!«
Eine Minute später wurde die hintere Thür geöffnet, und Seidelmann trat heraus.
»Kommen Sie, gnädiger Herr!« sagte er.
»Sind Sie allein?«
»Nein.«
»Wer ist bei Ihnen?«
»Der Wächter Laube.«
»Was will er?«
»Ich habe ihm für heute Nacht einige Weisungen zu ertheilen.«
»Er kann hören, was wir haben; aber erkennen darf er mich nicht. Kommen Sie herauf!«
Während er eintrat, zog er eine schwarze Maske hervor, welche er mitgebracht hatte, und band sie vor das Gesicht. Droben erhob, als sie eintraten, der Wächter sich von seinem Stuhle, auf welchem er gesessen hatte. Der Baron beachtete ihn zunächst gar nicht, sondern fragte Seidelmann: »Winkler war hier?«
»Ja.«
»Das Unternehmen ist heute?«
»Ja, das doppelte.«
»Doppelt? Wieso?«
»Der Andre war auch da.«
»Der Andre? Wer?«
»Ich kenne ihn nicht. Er war zweimal da, vorgestern und gestern. Es wird ein großes Geschäft.«
»Donnerwetter!« klang es unter der Maske des Barons hervor. »Ein Anderer? Haben Sie selbst mit ihm gesprochen?«
»Gestern ich und vorgestern mein Bruder.«
»Wie sah er aus?«
»Ich habe sein Gesicht gar nicht gesehen. Hier Laube aber muß es sich betrachtet haben. Durch ihn hat er sich anmelden lassen.«
»So kannte er die Eiche?«
»Natürlich!«
»Hatte er auch das Zeichen?«
»Ja.«
»Welches Aussehen hatte er?«
Diese letzten Worte waren an den Wächter gerichtet, welcher Arndt so beschrieb, wie er ihn gesehen hatte.
»Kenne ich nicht!« sagte der Baron. »Das ist Verrath!«
»Verrath?« fragte Seidelmann erschrocken.
»Ja. Ich komme nämlich, um Ihnen zu sagen, daß Sie abgefangen werden sollen. Die Polizei weiß, was wir vorhaben.«
»Herrgott!« stöhnte Seidelmann, indem er auf einen Stuhl sank.
»Ja. Dieser verdammte Fürst des Elendes hat seine Hand mit im Spiele. Aber hier hilft kein Erschrecken. Wir müssen so schleunig als möglich handeln. Vorher aber muß ich mich orientiren. Wann ist das Zusammentreffen?«
»Zwei Uhr.«
»Im Haingrunde?«
»Diesseits desselben.«
»Hm! Wer leitet es?«
»Mein Sohn. Ich wollte jetzt auch hinaus.«
»Ist Ihr Sohn bereits fort?«
»Seit einer Viertelstunde.«
»Vielleicht ist noch Zeit zur Warnung. Den Leuten können sie nichts anhaben, wenn
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