Der verlorne Sohn
diese keine Waaren haben. Wir müssen also sorgen, daß die Waaren gar nicht anlangen.«
Seidelmann war fieberhaft erregt. Er sagte:
»Wir müssen fort, fort, sogleich!«
»Halt! Dennoch keine Ueberstürzung! Giebt es einen Weg, auf welchem wir den jenseitigen Ausgang des Haingrundes unbemerkt erreichen können?«
»Nein. Der einzige Weg ist jedenfalls verlegt, wenn die Sache verrathen ist.«
»So müssen wir gerade durch den Wald?«
»Ja.«
»Gut! Sehen wir, daß wir die Packträger von drüben noch jenseits fassen können. Sie müssen umkehren; dann ist Alles gerettet.«
»Mein Sohn! Mein Sohn!«
»Pah! Sind keine Packete da, können sie ihm nichts anhaben. Haben Sie Waffen da?«
»Büchsen?«
»Unsinn! Messer und Revolver.«
»Genug!«
»So eilen Sie! Wir müssen uns bis an die Zähne bewaffnen. Auch zwei Betttücher. Schnell!«
Seidelmann eilte fort. Der Baron wendete sich nun an den Wächter und fragte:
»Kennst Du mich?«
»Nein.«
»Ich bin der Hauptmann selbst.«
»Ah!« antwortete der Mann, sich tief verneigend.
»Der Kerl, welcher gestern und vorgestern bei Dir gewesen ist, war jedenfalls der Fürst des Elendes. Er weiß also, daß Du im Bunde bist. Geht es uns heute fehl, so wird man Dich jedenfalls arretiren.«
»Mein Gott!«
»Nicht jammern! Ich werde sorgen, daß Dir nichts geschieht. Komm her an das Fenster. Siehst Du dort das kleine Gehölz?«
»Ja.«
»Da steht ein Schlitten mit zwei Pferden. Du gehst jetzt hin und bewachst das Geschirr, bis ich komme. Du sollst darauf sehen, daß die Pferde nicht laut werden oder gar ausbrechen. Jetzt fort! Das Weitere wird sich finden!«
Der Wächter war kaum hinaus, so kehrte Seidelmann zurück.
»Ist Ihr Sohn direct nach dem Haingrunde?« fragte der Baron.
»Ja. Seine Leute sind punkt zwei Uhr bestellt.«
»So scheint es, daß wir noch Zeit haben. Vorwärts!«
Sie stiegen über den Zaun und schlichen dem Walde zu, aber sorgfältig die Richtung vermeidend, in welcher Grenzer und Gensd’arme zu vermuthen waren. – –Arndt und der alte Förster hatten ihre beiden Pferde angestrengt. Sie erreichten das Städtchen punkt zwölf Uhr, gaben den Schlitten nebst den Pferden an den Besitzer zurück und gingen dann zu Fuße nach dem Forsthause.
Dort wurden sie bereits erwartet. Der Staatsanwalt befand sich da und hatte einen Grenzofficier und den Obergensd’arm mitgebracht. Diese beiden Letzteren betrachteten Arndt mit großer Aufmerksamkeit, weil sie erfahren hatten, daß er der Fürst des Elendes sei.
Mutter Barbara hatte geheizt, daß der Ofen glühte, und für den seltenen Besuch ein Mahl aufgetragen.
»Endlich!« sagte sie. »Wir dachten bereits, daß Ihr gar nicht kommen würdet.«
»Und da wurdest Du eifersüchtig?« scherzte der Förster.
»Auf wen denn?«
»Na, auf die Helfensteiner Mädels.«
»Pah! Dich alten Knaster guckt doch keine mehr an!«
»Oho! Denkst Du etwa, daß ich heute keine Rolle dort gespielt habe? Eine sehr große Rolle!«
»Du jedenfalls nicht, Alter!«
»Hopp, hopp! Wir hatten eine Exhumirung!«
Da war das Wort heraus. Der gute Alte hatte nicht gedacht, daß es dem Vetter Arndt wohl lieber sei, wenn von dieser Angelegenheit gar nicht gesprochen würde.
Der Staatsanwalt stutzte auch sofort und fragte:
»Eine Exhumirung? Höre ich recht? Eine Leiche ist ausgegraben worden, Herr Förster?«
»Jawohl!«
»Auf wessen Antrag?«
»Der da war es.«
Er deutete dabei auf Arndt. Dieser wehrte mit der Hand ab und sagte:
»Bitte, jetzt nicht hiervon. Später findet sich wohl auch Gelegenheit dazu. Ich habe Hunger. Lassen Sie uns zulangen und dabei das Naheliegende besprechen. Darf ich erfahren, welche Vorbereitungen Sie getroffen haben, Herr Staatsanwalt?«
»Gewiß. Ich habe sechszig Mann mit.«
»Wo?«
»Hier hinter dem Hause im Gebüsche.«
»Ah, Sie haben noch Keinen detachirt?«
»Nein. Ich erzählte dem Herrn Obergensd’arm von Ihnen, und er gab mir den guten Rath, nichts zu unternehmen, bevor ich nicht mit Ihnen gesprochen hätte.«
Arndt nickte dem Obergensd’arm dankbar zu und antwortete:
»Sehr verbunden. Es ist mir lieb, daß Sie diesem Rathe Folge geleistet haben. Es ist mir nämlich während unserer Heimfahrt ein Gedanke gekommen, dessen Ausführung mir sehr vortheilhaft zu sein scheint. Ihre Mannschaften sind bewaffnet?«
»Ja, natürlich.«
»Die Pascher jedenfalls auch?«
»Es läßt sich das wenigstens erwarten.«
»Ich hoffe dennoch, daß wir alle ohne Blutvergießen in die
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