Der verlorne Sohn
Befour
Des Abends erste Schatten wallen,
Dann tritt die Mutter der Natur
Hervor aus unterird’schen Hallen
Und ihres Diadems Azur
Erglänzt von funkelnden Krystallen. –
In ihren dunklen Locken blüh’n
Der Erde düftereiche Lieder,
Aus ungemessnen Fernen glüh’n
Des Kreuzes Funken auf sie nieder,
Und traumbewegte Wogen sprüh’n
Der Sterne goldne Opfer nieder. –
Und bricht der junge Tag heran,
Die Tausendäugige zu finden,
Läßt sie das leuchtende Gespann
Sich durch purpurne Thore winden,
Sein Angesicht zu schau’n und dann
Im fernen Westen zu verschwinden.« –
Ihre Declamation hatte einen wunderbaren Eindruck auf den Fürsten gemacht. Sie hatte vor ihm gestanden in der Haltung einer Göttin, den einen Fuß auf dem Teppich und den anderen auf dem niedrigen Sitze eines Ruhestuhles, neben welchem sie stand. Mit beiden Händen den Text in künstlerisch abgerundeten Gesten begleitend, hatte sie ihre schönen, vollen bis zur Schulter entblößten Arme erhoben. Ihre ganze Gestalt, ihre enge Taille, ihr vollendeter Busen, ihr schlanker Hals, das feine und doch so volle Profil hob sich in dieser Körperstellung in unvergleichlicher Plastik hervor. Dazu das dichte, hochaufgethürmte, dunkle, kurzgelockte Haar, der feurige Blick ihrer Augen und der tiefe, kräftige, metallische Klang ihrer Stimme. Sie war schön, wunderbar schön in diesem Augenblicke.
»Fräulein,« sagte er, als sie geendet hatte, »wie ist dieses Gedicht überschrieben?«
»Die Nacht der Tropen.«
»Wohnte der Dichter hier, hätte er Sie gesehen, so wollte ich darauf schwören, daß er Sie zum Modelle genommen hat. Sie waren in diesem Augenblicke die Personification der südlichen Nacht. Sie und das Gedicht waren Eins.«
»Ich danke!« lächelte sie. »Was sagen Sie zu diesem Dichter?«
»Diese ›Nacht der Tropen‹ ist nicht zu erreichen. Solche Farben hat kein Maler, und solche Worte hätte keiner unserer Klassiker gefunden. Dieser Hadschi Omanah ist ein Genie. Ich muß erfahren, wer er ist, und wo er lebt.«
Ihr Auge nahm einen eigenthümlichen Glanz an. Es lag darin fast wie ein Licht, welches aus der Tiefe der Seele leuchtet.
»Durchlaucht, ich liebe ihn!« sagte sie.
»Seine Gedichte, aber nicht ihn.«
»Auch ihn. Der Dichter ist so wie seine Werke. Und wäre dieser Hadschi Omanah arm wie ein Bettler und häßlich wie ein Äsop oder Saphir, so würde ich ihn lieben!«
Sie wurde unterbrochen. Unter der Thür erschien die Baronin Ella von Helfenstein. Sie that, als ob sie erschrecke, hier zu stören, kehrte aber doch nicht um. Der Fürst zeigte nicht die mindeste Spur von Unwillen. Er verbeugte sich höflich gegen sie und trat näher, um sich vorstellen zu lassen; dann aber wendete er sich um und kehrte in den Saal zurück.
»Ein ausgezeichneter Cavalier,« meinte die Baronin, indem sie ihm mit einem träumerischen Blick folgte.
»Aber viel, sehr viel anders, als man denkt,« antwortete Fanny.
»Darf ich fragen, in wiefern, meine Liebe?«
»Er ist ein Cavalier und doch zugleich ein Mann. Kommen Sie!«
Der Fürst hatte die Dame des Hauses aufsuchen wollen. Neben derselben saß – die Baronesse Alma von Helfenstein.
War das noch die Alma von früher, welche Gustav Brandt vor zwanzig Jahren seinen Sonnenstrahl genannt hatte? Ja. Ein Sonnenstrahl ist derselbe, ob vor tausend Jahren oder jetzt. So war es auch mit Alma. Da saß sie, tiefschwarz gekleidet, als ob sie in Trauer sei. Völliger Ernst lag auf ihrem Gesicht. Und doch war es, als ob Strahlen, lichte, warme Strahlen von ihr ausgingen und den Saal erwärmten.
Die beiden Damen saßen am Camin, als der Fürst sich ihnen näherte. Sie erhoben sich, und die Oberstin stellte ihn der Baronesse vor. Sein Auge ruhte mild und doch scharf forschend auf ihr. Sie sah ihn voll und ernst an, wie man es bei einem Manne thut, den man zum ersten Male sieht und der Einem völlig gleichgiltig ist.
Mehrere traten herzu, und es entspann sich ein animirtes Gespräch, welches sich erneuerte, als man bei Tafel saß. Er hatte – Allen unbegreiflich – sich die Baronin Ella als Dame auserwählt, obgleich eigentlich die Oberstin ihn hatte zur Tafel führen wollen.
Man brachte, ohne zudringlich sein zu wollen, die Rede auf den Orient, auf Indien insbesondere. Er gab ausgezeichnete Schilderungen. Alles lauschte. Da fragte seine Nachbarin auch nach den indischen Gauklern.
»Ist die Geschicklichkeit dieser Leute wirklich so ungeheuer, wie man sie beschreibt?«
»Gewiß!«
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