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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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trat aus der Nebenstube. Der Baron hörte, daß sie leise schluchzte. Salomon Levi’s lange hagere Gestalt erschien im Rahmen der Thüre. Er rief der Scheidenden nach:
    »Also sagen Sie, daß ich kann Pfand geben nur auf Sachen, welche ich bekomme in meine Hände. Wenn er will behalten den Tisch und die Betten, weil er sie braucht, so kann er bekommen nichts.«
    Der Baron nickte leise vor sich hin. Seine Vermuthung hatte sich bestätigt. An ihn wandte sich jetzt, als die Frau die Stube verlassen hatte, der Jude:
    »Ich bitte, einzutreten, mein Herr! Ich stehe gern zur Verfügung, wenn man kommt, bei mir zu kaufen für baare Zahlung, aber nicht auf Credit, welcher ist schädlich für den Handel und Wandel der Leute von Geschäft.«
    Er machte eine Bewegung mit der Hand, welche den Baron einlud, in das Nebenzimmer zu treten. Dieser jedoch blieb sitzen, weil da drin ein viel helleres Licht brannte.
    »Schon gut,« antwortete er. »Was wir zu besprechen haben, können wir auch hier miteinander reden. Machen Sie die Thüre zu, Herr Levi!«
    Diese Worte waren in einem Tone gesprochen, gegen welche der Jude keine Widerrede fand. Er warf die Thüre zu, setzte sich auf einen alten Kasten und fragte:
    »Welches ist das gute Geschäft, das der Herr will machen mit mir?«
    »Ich habe zu Ihrer Frau gesagt, daß ich Kupfer, Silber und Gold kaufen will; aber Ihnen will ich gestehen, daß ich in einer ganz anderen Absicht komme. Ich habe eine Erkundigung einzuziehen, und ich hoffe, daß Sie mir eine wahrheitsgetreue Auskunft ertheilen.«
    Der Jude machte eine unruhige Bewegung und fragte:
    »Ist es eine private Erkundigung?«
    »Nein.«
    »Gott Abrahams! So ist der Herr wohl gar ein heimlicher Polizist, welcher genannt wird Detective vom geheimen Corps?«
    »Vielleicht haben Sie mit Ihrer Vermuthung Recht, vielleicht auch nicht. Sie werden allerdings erfahren, wer ich bin, aber erst nachdem Sie mir auf meine Fragen geantwortet haben.«
    »Wie soll ich das können! Wie soll ich beantworten die Fragen eines Herrn, den ich nicht kenne!«
    »Sie werden antworten, denn ich sage Ihnen, daß von Ihrem jetzigen Verhalten Ihr Wohl, Ihr Glück, ja vielleicht sogar Ihr Leben abhängig ist.«
    Da fuhr der Alte von seiner Kiste in die Hohe. Die Hände zusammenschlagend, rief er:
    »Herr Zebaoth! Mein Wohl, mein Glück, mein Leben! Ist es doch grad, als ob Sie wären der geheimnißvolle Hauptmann, welcher allerdings den Tod gibt Denen, von denen er haben will, daß sie sterben!«
    »Der geheimnißvolle Hauptmann? Wer ist das?«
    Der Jude warf ihm einen mißtrauisch forschenden Blick zu und sagte dann mit gedämpfter Stimme.
    »Wenn Sie sind ein Mann von der Polizei, werden Sie doch viel besser wissen als ich, wen ich meine!«
    »Ich sage Ihnen, daß es sich nicht darum handelt, wer ich bin, sondern darum, was Sie von dem Hauptmanne wissen!«
    »Was ich von ihm weiß? Nichts, gar nichts weiß ich, lieber Herr!«
    Man hörte es dem Tone seiner Stimme an, daß er sich einer Besorgniß vor dem Unbekannten nicht erwehren könne. Dieser aber meinte in fast drohendem Tone:
    »Salomon Levi, ich befehle Ihnen, mir zu sagen, was Sie von dem Hauptmanne wissen! Sprechen Sie grad so, als ob sie einen Fremden vor sich hätten, der von ihm noch gar nichts gehört hat.«
    Dieser Ton machte Eindruck. Der Jude antwortete, indem er die möglichst vorsichtigen Ausdrückte wählte:
    »Nun, der Herr wissen wohl, daß jetzt hier zu Lande alle Arten von Verbrechen in dreifacher Anzahl vorkommen als vorher.«
    »Nichts weiß ich, gar nichts.«
    »Auch nicht, daß es Banden gibt, oder vielmehr eine einzige große Bande, welche über alle Provinzen verbreitet ist?«
    »Auch das weiß ich nicht.«
    »Und doch wissen es alle Kinder.«
    »Ich bin kein Kind! Sprechen Sie weiter!«
    »Die Mitglieder dieser Bande scheinen allwissend zu sein. Wo eine Summe liegt, das erfahren sie. Mit welchem Postzuge Geld fortgeht, das wissen sie. Wenn Jemand ein Erbe ausgezahlt erhält, sie holen es. Man sagt, daß sie geradezu streng militärisch organisirt und disciplinirt seien.«
    »Von wem?«
    »Nun eben von dem Hauptmanne!«
    »Wer ist das?«
    »Weiß ich es! Weiß es ein Anderer? Weiß es die Polizei? Niemand weiß es und Niemand kann es erfahren. Er ist überall, und er ist nirgends. Sucht man ihn hier, so ist er dort, und sucht man ihn dort, so tritt er hier auf. Bald ist er ein Bettler, dann wieder ein Fürst; er läßt sich sehen als Offizier, als Schuster, als Kaufmann und Metzger.

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