Der verlorne Sohn
Minute früher oder später. Bist Du hier gesehen worden?«
»Ja, aber nur von einem Frauenzimmer.«
»Auch das ist unangenehm. Wer war sie?«
»Ich kannte sie nicht. Sie suchte nach Abfällen an den Verkaufsständen. Es muß ein armes Weib gewesen sein. Da ich mich nicht näher betrachten lassen wollte, konnte auch ich sie mir nicht genau ansehen.«
»Ist sie fort?«
»Sie muß noch in der Nähe sein. Kurz bevor Sie kamen, trat sie in die zweite Budenreihe.«
»So werde ich sie mir betrachten. In unserer Lage ist es nothwendig, zu wissen, wer es ist, von dem man bemerkt wird. Adieu!«
Die Beiden gingen auseinander. Als der Fürst aus der dunklen Stelle hervortrat, hätte ihn wohl Niemand wieder erkannt. Er trug einen winterlichen Stutzeranzug, und sein Gesicht war ein so ganz anderes geworden, daß diese Veränderung geradezu unbegreiflich erschien. Er schritt langsam an der ersten Budenreihe dahin und blieb am Ende derselben stehen, um zu recognosciren.
Gerade jetzt trat drüben aus der zweiten Reihe eine Frauengestalt hervor. Sie war in ein Tuch gehüllt und trug einen Korb in der Hand. Man sah, daß sie fror; ihre Kleidung war sommerlich dünn und für die heutige Kälte ungenügend. Da, wo sie jetzt stand, hatten Obstfrauen feil gehalten. Das Frauenzimmer bückte sich, um die weggeworfenen, weil angefaulten Äpfel aufzuheben und in den Korb zu thun. Dabei kam sie dem Fürsten näher.
Dieser hörte jetzt den Schnee unter Schritten knirschen, welche von der anderen Seite herbeikamen. Er hatte noch Zeit, zu bemerken, daß er nicht eine Frau, sondern jedenfalls ein Mädchen vor sich habe, deren Gesicht beim Schimmer des leuchtenden Schnees einen eigenthümlichen Reiz zu besitzen schien. Dann zog er sich zurück, um von ihr und dem Nahenden nicht gesehen zu werden.
Vor Erzählung der nun folgenden Scene muß bemerkt werden, daß Baron Franz von Helfenstein, als er nach der Unterredung mit seiner Frau sein Palais durch eine hintere Thür verließ, sich ebenso möglichst unkenntlich gemacht hatte. Wer ihn jetzt erblickte, mußte ihn für einen Angehörigen des Mittelstandes, für einen Handwerker halten.
Er schritt über den Ringplatz hinweg und hielt gerade auf den oberen Eingang der Wasserstraße zu. Die dritte oder vierte Nummer derselben war ein kleines, einstöckiges und schmutziges Häuschen, neben dessen Thür auf einem alten Holzschilde zwar nicht jetzt aber doch am Tage zu lesen war, daß hier der Jude Salomon Levi mit Altzeug handle und auch dabei ein Leihgeschäft treibe.
Die Thür war verschlossen. Der Baron klopfte. Erst nach einer längeren Zeit wurde sie um eine Lücke geöffnet, blieb jedoch von innen noch mit Hilfe einer Sicherheitskette gesperrt. Eine lange, scharfe Nase erschien in der Spalte, und eine schnarrende, weibliche Stimme fragte.
»Was wollen Sie?«
»Kaufen,« antwortete er kurz.
Das wirkte. Die Stimme wurde freundlicher und fragte:
»Was ist’s, was der Herr kaufen will?«
»Altes Metall, Zinn, Kupfer, Silber und Gold.«
»Sind Sie von hier?«
»Nein. Ich bin der Reisende eines Juweliers.«
Die Alte mochte gedacht haben, es mit einem verkleideten Polizisten zu thun zu haben. Seine letzten Worte zerstreuten ihren Verdacht und so antwortete sie:
»Kommen Sie herein. Warten Sie ein Wenig. Es ist Jemand bei meinem Manne.«
Sie ließ ihn eintreten, verschloß die Thür wieder und führte ihn dann in eine Stube, in welcher allerlei Gerümpel, werthloses Zeug, zu sehen war. Er durfte sich auf einen Schemel setzen. Sie aber öffnete eine in einen Nebenraum gehende Thür und rief hinein:
»Salomonleben, es ist da gekommen ein feiner Herr, welcher will machen einen guten Handel mit Dir. Laß gehen das Weib, welches doch nicht kann Nutzen bringen einen einzigen Pfennig für Dich und unser Geschäft.«
Nach diesen Worten entfernte sie sich, um ihren Wächterposten im Hausflur wieder anzutreten.
Eine alte, trüb brennende Oellampe erhellte den Raum, in welchem der Baron saß. Sein Gesicht war kaum zu erkennen, dennoch aber schob er sich den Schemel so, daß er noch mehr in den Schatten zu sitzen kam. Dabei flüsterte er leise vor sich hin:
»Ich wette, daß es die Schließersfrau ist! Vor einer Stunde ist der Bote bei ihr gewesen; vor einer Viertelstunde ist ihr Mann zum Abendessen gekommen, und sie hat sogleich fortgemußt, um alles noch Vorhandene zu versetzen.«
Er hatte eine kleine Weile zu warten, dann wurde die Thür geöffnet. Eine junge, aber leidend aussehende Frau
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