Der verlorne Sohn
Menschen umgebracht, ich wäre jetzt quitt mit dem Richter, denn eine jede Secunde ist mir zum letzten Augenblick, zur Hinrichtung geworden. Welch ein fürchterliches Gift! Mein Herz stand still, und meine Lungen waren wie Stein. Es war todteskalt in meinem Körper, und dennoch lebte ich. Ich wollte mich bewegen, und ich konnte nicht. Ich wollte die Fäuste ballen, und ich vermochte es nicht. Ich wollte schreien, ich wollte fluchen, beten; es ging nicht. Ich war wie eine Erzfigur im weichen, warmen Daunenbette. Da wurde jede Secunde zur Geburtsstunde eines Fluches für ihn. Meine Zunge lag in meinem Munde wie Eisen, und doch fühlte ich jeden Lufthauch, und doch hörte ich die Fliegen draußen am Fenster mit einander sprechen. Der Hunger, der Durst, sie wollten mich verzehren; aber sie konnten es nicht, denn ich war ja ein Stück Metall. Nun aber ist es vorüber, und nun soll die Reihe an ihn kommen, an ihn, an ihn, an ihn!«
»Gnädige Frau, verzeihen Sie ihm. Er ist Ihr Mann, Ihr Gemahl!«
»Was sagen Sie? Was wollen Sie? Mein Gemahl! Gerade aus diesem Grunde ist sein Verbrechen tausendfach größer und strafbarer. Sie sind ein weiches Gemüth, und Sie haben nicht einen einzigen solchen Augenblick erlebt, wie ich ihrer Millionen. Als ich Ihre Stimme zum ersten Mal wieder hörte, da tropfte ein Atom Himmelstrost in meine Höllenqual. Und als Sie dann mit Doctor Zander kamen, um mich zu entführen, mich zu retten, als Sie mich auf Ihren Armen in das Coupee trugen und heimlich nach hier brachten, da wollte ich vor Wonne laut aufbrüllen, da wollte ich meine Arme um Sie legen, um Sie todt zu drücken vor Seligkeit; aber, ich war ja noch todt. Doch ich wurde ruhig, ich wartete. Und als soeben Doctor Zander sagte, daß es nur noch fünf Minuten währen könne, da wußte ich, daß mein Erwachen kein wahnsinniges sein werde. Desto wahnsinniger aber wird meine Rache sein, meine Rache, Rache, Rache!«
»Bitte, legen Sie sich! Soll ich Ihnen eine Erquickung reichen lassen?«
»Legen soll ich mich? Erquickung soll ich genießen? Hölle und Tod! Ich werde mich nicht legen; ich werde nicht ruhen, bis ich ihn verdorben habe! Ich habe weder Hunger noch Durst nach Speise und Trank mehr. Ich hungere und dürste aber nach seiner Seele. Meine größte Erquickung wird sein, wenn sein Todesschrei in meine Ohren gellt. Durchlaucht, Sie haben mich gerettet! Sie dürfen dabei nicht stehen bleiben. Sie müssen auch ferner für mich handeln!«
»Was soll ich thun?«
»Wollen Sie? Wollen Sie?«
»Sagen Sie, was!«
»Sie sollen der Träger, der Schildknappe meiner Rache sein. Sie sollen der Dolch sein, den ich ihm in’s Leben stoße, und der Hammer, mit dem ich ihn zerschmettere!«
»Fassen Sie sich!«
»Fassen! Fassen! Fassen! Herrgott, wie kann ein Mensch so ruhig sprechen! Fassen! Ich wollte, ich könnte zur Flamme werden, in welcher er bis auf die Knochen verbrennt, und sollte ich mich dabei selbst auch verzehren. Verderben soll er, verderben! Er soll ausgestoßen werden, wie ein räudiger Hund. Er soll als Merkzeichen der Schande und der Gefährlichkeit dienen, wie die Eule, welche man an das Scheunentor nagelt. Und ich ruhe nicht eher, als bis Sie mir versprechen, mich dabei zu unterstützen.«
»Rache ist unchristlich!«
»Unchristlich! Ist er ein Christ? Oh, Sie kennen ihn ja nicht. Sie haben keine Ahnung, was er ist. Er ist der Auswurf der Menschheit, der größte Verbrecher. Er muß zertreten werden wie der Scorpion, der von seinem eigenem Gifte lebt.«
»Beste Baronin, Sie haben Fürchterliches ausgestanden; aber dennoch kann ich Sie nicht begreifen. Ein Verbrecher soll er sein?«
»Ja, ja und tausendmal ja!«
»Sie sprechen doch von Ihrem Gemahl?«
»Von wem sonst?«
»Vom Baron Franz von Helfenstein?«
»Bei allen Göttern und Teufeln, ja; ihn meine ich, ihn, ihn und keinen Anderen!«
»Und ein Verbrecher soll er sein? Hm!«
»Ihre Worte klingen wie kaltes Wasserplätschern, während in mir ein glühender Lavastrom wühlt. Ich werde Ihnen Alles sagen, Alles. Und dann sollen Sie hingehen, um ihn zu verderben. Sie allein sind der Mann dazu; Einen Anderen würde er verderben. Selbst den Minister, den König würde er morden, um sich zu retten. Sie aber sind ihm überlegen. Sie werden ihm den Stoß geben, ohne daß er ahnt, von wem er kommt!«
»Das klingt so, als ob er der größte Bösewicht sei.«
»Das ist er auch. Ich werde Ihnen alle seine Verbrechen entdecken. Dann handeln Sie!«
»Sie verderben sich ja
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