Der verlorne Sohn
tödten.«
»Unmöglich!«
»Sogar wirklich. Er hat ihr ein Gift eingegeben, in Folge dessen sie in ihren gegenwärtigen Zustand gefallen ist. Er hat sie nach Rollenburg zu Doctor Mars geschafft und diesem eine hohe Gratification geboten, falls sie sterben sollte. Um sie zu retten, haben wir sie entführt.«
»Romantisch! Höchst romantisch!« meinte der Justizrath. »In diesem Falle werden Sie allerdings nicht bestraft, denn es fehlt der
dolus
, die Absicht, ein Verbrechen zu begehen. Sie hatten vielmehr die Absicht, ein solches zu verhüten. Und diese arme Baronin befindet sich bei Ihnen?«
»Ja. Sie liegt in einem Zustande der Erstarrung. Ich habe ihr durch Herrn Doctor Zander ein Gegengift geben lassen, und Sie Alle sollen nachher Zeuge ihres Erwachens sein, meine Herren.«
Diese Worte brachten eine bedeutende Wirkung hervor. Ausrufe der Verwunderung, der Befriedigung, der Erwartung wurden laut. Der Justizrath aber kehrte auch hier den juristischen Examinator heraus. Er fragte: »Sie verfolgen dabei, wie es scheint, eine bestimmte Absicht?«
»Ja, das gestehe ich.«
»Dürfen wir erfahren, welche?«
»Wenn Sie mir versprechen, mir nicht zu zürnen.«
»O, ich bin über jeden Zorn erhaben!«
»Sie glücklicher Mensch! Meine Absicht steht nämlich in inniger Beziehung zu dem Gegenstande unseres vorigen Gespräches. Das Erwachen der Baronin soll den Beweis liefern, daß Brandt unschuldig gewesen ist.«
Der Justizrath fuhr zurück, als hätte ihn eine Natter angezischt. Er sagte in fast drohendem Tone:
»Durchlaucht!«
»Schön! Ich denke, Sie sind über jeden Zorn erhaben?«
»Sie wissen ja wohl, was Sie sagten?«
»Gewiß!«
»Wenn eine Möglichkeit von Brandt’s Unschuld vorhanden wäre, so läge ja auch die Möglichkeit vor, daß wir uns damals geirrt haben!«
»Sehr folgerichtig!«
»Gegen diese Möglichkeit aber muß ich mich streng verwahren, Durchlaucht! Ich war Vorsitzender!«
»Das kann an meiner Absicht gar nichts ändern. Ich vermuthe nicht nur, sondern ich behaupte sogar, daß Brandt unschuldig ist.«
Da machte der Justizrath eine Verbeugung und sagte:
»Meine Zeit ist abgelaufen. Durchlaucht gestatten, daß ich mich jetzt zurückziehe.«
»Bitte, bleiben Sie dennoch!«
»Nein, danke!«
Er drehte sich um und schritt dem Eingange zu. Seine Haltung war so stolz, wie die eines Löwen, welcher an einem Rattenneste vorübergeht und keinen Appetit fühlt, diese niedrigen Thiere zu verschlingen.
»Herr Justizrath!« sagte der Fürst, als der pensionirte Gerichtsbeamte bereits an der Thür war.
»Durchlaucht?«
»Sie gehen wirklich?«
»Unbedingt! Ich kann mich nicht beleidigen lassen.«
»Ich ersuche Sie doch, zu bleiben!«
»Danke! Habe die Ehre, meine Herren!«
Er öffnete die Thür Da rief der Fürst:
»Halt! Sie bleiben!«
Diese Worte waren in einem solchen Tone gesprochen, daß der Justizrath herumfuhr und den Fürsten anstarrte.
»Wie? Was?« fragte er.
»Sie bleiben!«
»Nein, ich gehe! Selbst ein Fürst kann auf meine freie Selbstbestimmung keinen Einfluß äußern!«
»Und dennoch befehle ich Ihnen, zu bleiben!«
»Befehlen?« fragte der Pensionirte zornig.
»Ja. Kommen Sie her, und sehen Sie!«
Das klang so bestimmt, so allen Widerspruch ausschließend, daß der Justizrath wieder näher kam.
»Lesen Sie diese Karte!«
Er warf einen Blick auf dieselbe und sagte erschrocken:
»Ah, von Seiner Exzellenz!«
»Ja. Werden Sie nun bleiben?«
Der einstige Vorsitzende verbeugte sich tief und antwortete:
»Unter diesen Verhältnissen, ja!«
»Auch unter den erst vorwaltenden Verhältnissen wäre jeder Andere außer Ihnen geblieben. Glücklicher Weise hat man mich über Ihre Eigenthümlichkeiten unterrichtet. Ein braver Beamte, zumal Justizbeamte, verdient die höchste Achtung und möglichste Rücksichtnahme. Sie sind ein verdienstvoller Beamter gewesen, aber seit Sie dieses Band in das Knopfloch erhalten haben, leiden Sie am Größenwahn. Sie haben sich hier bei mir heute Abend eines Verhaltens befleißigt, als ob es für mich die höchste Ehre sei, Sie bei mir zu sehen. Gewöhnen Sie sich das ab! Sie machen sich doch nur lächerlich! Jetzt aber bitte, nehmen Sie Platz! Ich werde Sie überzeugen, daß Sie keineswegs so unfehlbar sind, wie Sie denken!«
Der Angeredete gehorchte, ohne ein Wort zu entgegnen. Er war leichenblaß geworden. Es kochte in ihm. Er sagte sich keineswegs, daß er diese Zurechtweisung verdient habe; aber der Respect vor der Unterschrift des
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