Der verlorne Sohn
nicht, geschehe, was da wolle!«
»Dummkopf! Sei nicht so ängstlich!«
Wunderlich führte ihn in den Flur hinab, holte einen Hammer, öffnete die Hausthür und sagte dann: »Hier ist er! Jetzt sind wir fertig.«
»Ja. Ich glaube nicht, daß wir uns jemals wiedersehen werden, so leid Dir das auch thun wird.«
»Ich habe Dir bereits gesagt, daß ich nicht weinen werde.«
»Schön! Ist heute noch etwas passirt?«
»Nein.«
»Hast Du auch in Beziehung auf den Baron von Helfenstein nichts Neues gehört?«
»Gar nichts, als daß man in seiner Wohnung sehr streng ausgesucht hat.«
»Ist etwas gefunden worden?«
»Vieles.«
»Was zum Beispiel?«
»Weiß ich es? Glaubst Du, daß die Herren vom Gericht es ausplaudern werden?«
»Na, auch der vorsichtigste Mensch verplappert sich einmal.«
»Du scheinst Dich für den Baron sehr zu interessiren.«
»Möglich.«
»Gilt ihm Dein heutiger Gang?«
»Was geht es Dich an?«
»Nichts, gar nichts.«
»Also frage nicht!«
»So packe Dich fort!«
»Oho! Klingt das wie der Abschied eines Freundes?«
»Wenigstens wie derjenige eines Mannes, der sich nicht gern in Gefahr begeben will.«
»Na, so gehab Dich wohl. Nimm Dich in acht vor dem Zuchthause. Falschmünzer steckt man gern ein.«
»Und hüte Du Dich vor dem Galgen. Du scheinst sehr nahe bei ihm zu stehen.«
»Dummkopf! Also adieu!«
»Adieu! Auf Nimmerwiedersehen!«
Bormann trat hinaus in das Regenwetter. Der Orkan faßte seine riesige Gestalt mit solcher Gewalt, daß er Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Er mußte sich förmlich ihm entgegen lehnen.
Es begegnete ihm kein lebendes Wesen. Sogar die Nachtwächter hatten sich unter die Thorwege zurückgezogen, um wenigstens einigermaßen geschützt zu sein. Es war ein richtiges, echtes Spitzbubenwetter, ganz zu einer bösen That geeignet. Hätte auch das Licht der Laterne ausgereicht, das Terrain um wenige Schritte weit zu erhellen, so schlug doch der Sturm Einem völlig die Augen zu.
Bormann arbeitete sich bis an das Gefängnißgebäude. Er umschlich es, um zu sehen, ob er allein sei. Er bemerkte kein einziges menschliches Wesen.
Er war bereits einige Male in diesen Räumen gefangen gewesen, also kannte er sie. Er machte nicht von dem Haupteingange Gebrauch, sondern er suchte eine Hinterpforte, welche aus dem Gefängnißhofe in das Freie führte. Er zog den gestern von dem Hauptmanne erhaltenen Hauptschlüsssel heraus und probirte. Der Schlüssel paßte und öffnete die Pforte.
Er schloß sie hinter sich wieder zu und schlich leise an der Mauer entlang nach dem zweiten Eingange des eigentlichen Gebäudes. Auch hier öffnete er mittelst des Schlüssels und schloß dann wieder hinter sich ab.
Er befand sich in einem nur spärlich erleuchteten Flur, von welchem links eine Thür nach den Verhörzimmern und -sälen, rechts aber eine zweite in das eigentliche Gefängniß führte. Er schloß diese letztere auf und trat auf einen Vorplatz, von welchem aus eine Treppe nach oben führte. Hier zog er seine Stiefel aus und steckte sie hinter die Treppe. Diese Letztere war ihm sehr wohl bekannt. Er war über sie hinweg aus dem Gefängnisse in das Verhör geführt worden.
Auf den Strümpfen stieg er lautlos empor. Der Sturm tobte übrigens draußen mit solcher Wuth, daß man auch hier im Innern ein ziemlich lautes Geräusch gar nicht zu unterscheiden vermochte.
Jetzt kam er oberhalb der Treppe an eine Thür, welche er nur mit der äußersten Vorsicht öffnete. Er schien sich in der Nähe einer Gefahr zu befinden. Er trat ein, verschloß aber dieses Mal die Thür nicht, sondern klinkte sie nur ein. Ein langer, hell erleuchteter Zellengang dehnte sich vor ihm hin. Gleich über der ersten Thür war zu lesen: »Aufsichtszelle.« Die anderen Thüren waren mit fortlaufenden Nummern bezeichnet.
Er trat an die erstere und lauschte angestrengt. Während einer kurzen, windstillen Pause glaubte er Schnarchlaute zu vernehmen. Er machte leise, ganz leise auf und blickte durch die Spalte in den kleinen Raum.
Auf dem Lager hingestreckt war der Gefängnißwärter in Schlaf gefallen. In der Hand hielt er ein Schlüsselbund. An der Wand hingen Ketten und eiserne Fesseln, daneben die Schlüssel dazu. Auf dem Tische lag ein aufgeschlagenes Buch die – Zellenliste.
Der Akrobat zog die Thür hinter sich zu und trat leise an das Lager. Ohne mit der Wimper zu zucken, zog er den Hammer hervor, holte aus und führte einen fürchterlichen Hieb gegen die Stirn des Schläfers.
Der
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