Der verlorne Sohn
Getroffene gab keinen Laut von sich; er streckte sich und war todt.
»Bis hierher ging’s gut,« murmelte Bormann. »Hoffentlich kommt nichts drein.«
Er nahm den Schlüsselbund und die Fesselschlüssel und trat an den Tisch.
»Nummer acht, erste Etage: Baron Franz von Helfenstein, rechter Flügel,« las er. »So weiß ich es also! Vorwärts!«
Er verließ die Aufsichtszelle, schloß sie hinter sich zu, zog den Schlüssel ab und steckte ihn ein. Den Hammer hatte er auch zu sich genommen. An einem Kleiderständer hing der Capot und die Mütze des Schließers. Bormann setzte die Letztere auf und zog den Ersteren an. Dieser war ihm zwar zu eng und zu kurz, reichte aber hin, für einige Augenblicke zu täuschen.
Jetzt trat der Mörder an den Hauptgashahn und drehte ihn so weit zu, daß es auf dem Gange nur noch ein düsteres Licht gab. Dann ging er denselben hinab bis dahin, wo eine Thür nach dem rechten Flügel führte.
Dort horchte er. Als der Sturm einmal Athem holte, hörte der Lauscher laute, abgemessene Schritte.
»Donnerwetter! Ein Militärposten,« fluchte er. »Dachte es mir. Na, ich fürchte mich nicht!«
Er öffnete jetzt mit dem Hauptschlüssel die Thür laut. Der Posten hörte es, drehte sich um und fragte: »Wer da?«
»Der Schließer. Bitte, kommen Sie einmal her!«
Der Soldat erblickte die blanken Knöpfe auf dem Capot und die farbige Mütze. Er hatte keinen Verdacht.
»Was giebt es?« fragte er, näher kommend.
Bormann war nicht eingetreten. Er stand neben dem Eingange, nur spärlich von den trüben Gasflammen des ersten Zellenganges beleuchtet.
»Haben Sie nichts gehört?« fragte er.
»Was soll ich denn gehört haben?«
Während dieser Worte war der Posten ganz nahe herangekommen, so daß Bormann ihn mit der Hand berühren konnte.
»Ein Sägen und Feilen.«
»Wo denn?«
»Dort hinten.«
Bormann zeigte in den Flügelgang hinein. Ganz unwillkürlich drehte sich der Soldat um, um mit dem Auge der angedeuteten Richtung zu folgen. In diesem Augenblicke schnürte ihm der riesenstarke Mann mit der Linken die Kehle zusammen und schlug ihm mit dem Hammer ein Loch in den Hinterkopf. Dann legte er ihn hinter die Thür und huschte eilig nach der Nummer Acht.
Im Nu war die Thür geöffnet.
»Herr Baron!«
»Donnerwetter! Bormann!«
»Ja. Sind Sie gefesselt?«
»Natürlich.«
»Ich habe die Schlüssel.«
Das Gaslicht drang in die offene Zelle. Bormann trat ein. Nachdem er zwei der Fesselschlüssel vergebens probirt hatte, paßte der dritte.
»Wo ist der Posten?« fragte der Baron.
»Erschlagen.«
»Alle Teufel! Und der Schließer?«
»Auch todt.«
»Sie sind ein verwegener Kerl!«
»Sonst könnte ich Sie nicht herausholen. Da, jetzt sind Sie los. Schnell, kommen Sie!«
Sie verließen die Zelle, welche Bormann wieder verschloß. Als sie an dem Soldaten vorüberkamen, bewegte er sich. Er war also nicht todt.
»Soll ich ihm noch Eins geben?« flüsterte Bormann.
»Nein, wenn es nicht durchaus nothwendig ist.«
»Ich glaube nicht. Also weiter.«
Vorn am Eingange sagte der Akrobat:
»Man hat Ihnen Ihre Kleider genommen. Ziehen Sie den Capot hier an, und hier ist die Mütze. In dem Anzuge von Sackleinwand würde jeder Begegnende in Ihnen einen entsprungenen Gefangenen erkennen.«
Der Baron folgte dieser Aufforderung. Dann verließen sie das Gefängniß auf demselben Wege, auf welchem Bormann, der unten seine Stiefel wieder anzog, in dasselbe gekommen war. Draußen auf der Straße angekommen, fragte er:»Jetzt wohin?«
»Nach meiner Wohnung.«
»Sapperment! Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Man hat dort ausgesucht! Man wird sie bewachen.«
»Keine Sorge! Mich fängt man nicht wieder! Ich habe einen Diener, auf den ich mich verlassen kann. Ich muß mit ihm reden.«
»Ist er eingeweiht?«
»So ziemlich. Wenigstens weiß er Bescheid, falls ich einmal arretirt werden sollte. Er wird auf seinem Posten sein. Er hat Einiges, was ich nothwendig brauche, in seiner Verwahrung.«
»Man wird es bei der Haussuchung gefunden haben.«
»Auf keinen Fall.«
»So wollen wir es wagen.«
Sie kämpften sich gegen den Sturm bis in die Nähe des Palastes. Dort führte der Baron den Akrobaten an den Brunnen und sagte: »Bleiben Sie hier, bis ich wiederkomme!«
»Aber Vorsicht, Vorsicht, um Gottes willen!«
»Keine Sorge! Sehen Sie das erleuchtete Fenster in der ersten Etage?«
»Ja.«
»Dort wartet der Diener. Ich werfe ein Steinchen hinan, und darauf kommt er an eines der dunklen
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