Der verlorne Sohn
fort:
»Also wir haben drei Zimmer: Vor-, Wohn-und Schlafzimmer. Die beiden letzteren sind von innen verriegelt; man kann nur zum Vorzimmer herein. Das Geld und die Juwelen sind im Schlafzimmer zu suchen. Die Diebe werden also durch die beiden anderen Räume in das Letztere kommen. Dort erwarten wir sie. Da ein Bormann dabei ist, müssen wir uns auf einen kräftigen Widerstand gefaßt machen; doch sind wir fünf Personen; entkommen werden sie uns also voraussichtlich nicht.«
»Wohin stecken wir uns?« fragte der Assessor.
»Fünf Männer können sich in diesem kleinen Raume nicht verstecken. Es bleibt uns nichts Anderes übrig, als uns so lange in die Ecken zu schmiegen, bis sie hereingetreten sind. Dann heraus mit unseren Laternen, und wir haben sie.«
»Gut! Löschen wir also aus?«
»Ja. Dann öffnen wir ein Fenster, um zu beobachten, wie der Riese es anfängt, in das Haus zu kommen.«
»Wird er das nicht bemerken?«
»Nein. Die Gaslaternen brennen heute so schlecht, daß wir ohne Sorge für kurze Augenblicke öffnen können, ohne von unten bemerkt zu werden.«
Er löschte das in der Schlafstube brennende Licht aus, und dann traten sie an die Fenster, um die Straße zu beobachten.
Es verging doch über eine halbe Stunde, da endlich sagte Adolf zu den Harrenden:
»Aufgepaßt! Da unten bewegt sich Etwas.«
»Ja,« antwortete der Fürst. »Es kommt näher. Ah, welch langer, starker Mensch!«
»Jetzt ist er über die Straße herüber.«
»Der Andere wird ihm ein Zeichen gegeben haben. Sehen wir einmal nach, was er thut!«
Er öffnete einen Fensterflügel und steckte den Kopf vorsichtig hinaus, zog ihn aber bereits nach einigen Augenblicken wieder herein und berichtete: »Es muß ein Seil herunter gelassen worden sein. Er turnt sich empor. Nun wird unsere Geduld nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden.«
Er machte das Fenster wieder zu, und dann zogen sie sich erwartungsvoll in die Ecken zurück.
Die größte Geduldsprobe hatte natürlich Bormann auszustehen gehabt. Es war keine Kleinigkeit, bei diesem Wetter eine solche Zeit ruhig zu warten. Endlich bemerkte er, daß sich das letzte noch erleuchtete Fenster öffnete. Der Baron erschien an demselben, winkte und ließ den Strick hinab. Bormann ging über die Straße hinüber und zog kräftig an dem Stricke, um sich zu überzeugen, daß er gut befestigt sei. Dann griff er sich zum Fenster empor und stieg ein. Das hatte ihm, dem starken Manne und Akrobaten, gar keine Mühe gemacht.
In der Stube war es schnell finster geworden.
»Warum haben Sie das Licht ausgelöscht?« fragte er, indem er den Strick hereinzog und das Fenster verschloß.
»Das sehen Sie nicht ein?« antwortete der Baron.
»Nein.«
»Denken Sie sich, daß da drüben, in einer der gegenüberliegenden Wohnungen, zufälliger Weise Jemand erwacht und herüberblickt! Er würde Sie einsteigen sehen, wenn ich das Licht brennen hätte. Ich werde es übrigens wieder anzünden. Setzen Sie sich, damit man Ihren Schatten nicht bemerken kann!«
Als das Licht wieder leuchtete und der Baron Bormann betrachtete, hatte er Mühe, ein Lachen zu unterdrücken.
»Mensch, wie sehen Sie denn aus!« sagte er, natürlich so leise, daß nur Bormann ihn verstehen konnte.
»Nun, wie denn?« antwortete dieser, ziemlich verdrossen.
»Als hätten Sie Schwimmstunde gehabt.«
»Ist’s ein Wunder? Diese lange Zeit in solchem Regengusse zu stehen! Ich bin nicht nur bis auf die Haut, sondern sogar bis auf die Knochen naß. Haben Sie nichts Warmes?«
»Hier stehen zwei angestochene Flaschen Wein. Ich habe sie Ihretwegen kommen lassen. Trinken Sie!«
Bormann setzte die eine Flasche an den Mund und trank sie auf einmal aus. Dann sagte er, mit der Zunge schnalzend: »Nicht übel! Aber ein Schnaps wäre mir doch lieber.«
»Könnte aber nur schaden. Wir müssen nüchtern sein.«
»Wie ist’s gegangen?«
»Ganz gut. Im Hause ist es still geworden. Es scheint Alles zu Bett gegangen zu sein. Gab es noch erleuchtete Fenster an der Fronte?«
»Nein. Das letzte, welches verlöscht wurde, war nebenan.«
»Das ist das Vorzimmer der Tänzerin.«
»Daß Sie sich nur nicht irren!«
»Nein. Ich habe mich bei dem Kellner ganz genau erkundigt. Die Dame hat Vor-, Wohn-und Schlafzimmer. Diese drei Räume hängen durch Verbindungsthüren zusammen und aus jedem derselben führt zugleich eine Thür nach dem Corridore. Es giebt also im ganzen fünf Thüren.«
»Durch welche kommen wir hinein?«
»Das müssen wir erst
Weitere Kostenlose Bücher