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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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trete sofort an’s Bett. Sie leuchten sie an. Sehe ich, daß sie mit der Wimper zuckt, erwürge ich sie. Das ist das Sicherste, denn dabei geht es ruhig zu.«
    »Schön! Also vorwärts.«
    Bormann schlich voran, durch die zweite ebenso offene Verbindungsthür. Er stand mitten im Schlafzimmer und der Baron war ihm bis an die Thür desselben gefolgt.
    »Leuchten!« raunte der Riese zu ihm zurück.
    Der Baron enthüllte die Glastafel der Laterne. Ein ganz und gar leichtes Räuspern ließ sich in diesem Augenblicke im Zimmer vernehmen; aber obgleich es nur wie ein Hauch geklungen hatte, hörte das feine, vorsichtige Ohr des Barons doch, daß dies nicht eine weibliche Kehle gewesen sei. Gab es hier ein Mann?
    Ein plötzlicher Verdacht kam über den Baron. Er ließ das Licht in das Zimmer fallen und warf, während das Auge des Riesen nur auf das eine Bett gerichtet war, den Blick scharf forschend in die Ecken. Dort, links, hatten sich zwei Männer niedergeduckt, er bemerkte deutlich ihre Köpfe. Und da rechts sah er die Achsel eines Dritten hinter der Gardine hervorragen.
    Die Erkenntniß der Situation durchzuckte ihn mit der Schnelligkeit des Blitzes. Er konnte sich nur retten, wenn er Bormann opferte. Im Nu hatte er die Laterne wieder verdunkelt und huschte in höchster Eile auf den Strümpfen zurück, bis an die Eingangsthür des Vorzimmers, öffnete sie leise, trat in sein Zimmer, zog den Schlüssel ab, steckte ihn von innen an und schloß zu.
    In derselben fieberhaften Eile zog er die Laterne hervor, so daß sie leuchtete, fuhr in die vorhin vorsichtiger Weise ausgezogenen Stiefel, setzte den Hut auf, zog den Regenmantel an, steckte den Arm in die Henkel seiner Koffertasche, riß das Fenster auf, ließ das noch immer an dem Bettbeine befestigte Seil hinunter, stieg auf die Fensterbrüstung und ließ sich hinab.
    Von dem Augenblicke, an welchem er Verdacht geschöpft hatte, bis zu dem, an welchem er den Erdboden erreichte, war keine Minute vergangen. Noch war oben Alles still, als er in höchster Eile die Straße hinab lief.
    Bormann war mitten im Zimmer stehen geblieben und wartete. Er konnte nicht begreifen, warum der Baron die Laterne wieder verschlossen hatte. Er wendete sich zurück und flüsterte: »Im Bette lag ja Niemand!«
    Er bekam keine Antwort.
    »Leuchten!« sagte er.
    Es blieb finster.
    »Hauptmann!«
    Keine Antwort.
    »Verdammt! Ist er denn nicht mehr da!« murmelte er.
    Er fühlte mit den Händen nach der Thür, wo der Baron soeben noch gestanden hatte. Es war Niemand da.
    »Hauptmann!« sagte er, ein wenig lauter als vorher.
    Jetzt bekam er Antwort, aber nicht diejenige, welche er erwartet hatte.
    Der Fürst hatte nämlich jenes leichte Räuspern ebenso gehört wie der Baron. Er erkannte, daß dies Alles vor der Zeit verrathen könne. Er lauschte, als der Lichtschein so plötzlich wieder erlosch, auf und glaubte ein Geräusch zu vernehmen, als ob im vorderen Zimmer sich der Riegel eines Schlosses leise bewege.
    »Der Eine ist fort!« raunte er Adolf zu, welcher sich neben ihm befand.
    »Nein,« antwortete dieser. »Er steht noch an der Thür.«
    »Ich habe einen Riegel gehört.«
    »Das ist Täuschung. Er wird gleich wieder leuchten.«
    Sie warteten. Sie hörten Bormann flüstern, ohne daß sie ihn verstanden. Dann bewegte er sich nach der Thür zurück und der Fürst vernahm deutlich das Wort ›Hauptmann‹. Zu gleicher Zeit aber war der rasche Schritt eines forteilenden Menschen unten hörbar.
    Kurz entschlossen, zog der Fürst seine Laterne hervor. Ihr Schein erleuchtete das Zimmer. Bormann drehte sich wieder um. Er glaubte, der Baron befinde sich hinter ihm im Zimmer. Da aber erblickte er den Fürsten, welcher zufälliger Weise dieselbe Verkleidung trug wie damals in Brückenau, als er Bormann im Gasthofe an der fortgesetzten Mißhandlung des armen Knaben verhinderte.
    »Donnerwetter! Der Elendsfürst!« entfuhr es ihm.
    »Drauf!« commandirte der Fürst.
    Jetzt leuchtete auch die Laterne des Assessors auf. Aber Bormann erkannte, woran er war. Er, der riesenstarke Mann, schlug um sich und schüttelte die Angreifer von sich ab, wie ein Löwe die Meute. Er sprach kein Wort, um keinen Lärm hervorzubringen, und eilte durch die Zimmer hinaus in den Corridor. Erst dort gab er wieder ein Wort zuhören: »Höllenelement!«
    Er fand die Thür des Barons verschlossen. Der Fürst war hinter ihm hergesprungen und versetzte dem vor Rathlosigkeit einen Augenblick Stutzenden einen Fausthieb an die Schläfe,

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