Der verlorne Sohn
fuhr er fort:
»Ich ersuche Sie, schleunigst eine Etage höher ein Zimmer zu beziehen, dabei aber jedes Geräusch zu vermeiden. Man wird diese beiden Menschen hier empfangen.«
»Dieser Plan ist freilich gut; aber, Herr Doctor, Sie überlassen das doch der Polizei!«
»Ich werde meine Pflicht thun.«
»Ihre Pflicht ist nicht, Einbrecher zu ergreifen. Ich bitte Sie sehr, sich keiner Gefahr auszusetzen. Versprechen Sie mir das?«
Sie hielt ihm das kleine, schöne Händchen entgegen. In ihrem Auge leuchtete Etwas, was sein Herz höher klopfen machte. Er ergriff ihre Hand und antwortete: »Ich versichere Ihnen, daß keinerlei Gefahr für mich vorhanden ist. Ich habe bereits polizeiliche Hilfe requirirt.«
»Wohl meinen Pseudo-Leonhardt?«
»Ja. Er wird in kurzer Zeit mit Begleitung hier sein. Ihr Umzug muß natürlich in der Weise bewerkstelligt werden, daß Ihr gefährlicher Nachbar nichts davon bemerkt. Ihre Kostbarkeiten nehmen Sie natürlich mit. Darf ich den Wirth benachrichtigen?«
»Ja. Er mag mir nur fünf Minuten Zeit lassen; dann bin ich bereit.«
»So gestatten Sie mir, mich zu verabschieden!«
Er verbeugte sich ehrerbietig und wollte sich entfernen. Sie aber hielt ihm abermals die Hand entgegen und sagte: »Es giebt jetzt, wie ich sehe, keine Zeit, Ihnen meinen Dank abzustatten, aber ich hoffe, daß wir uns wiedersehen.«
Er zog ihre Hand an seine Lippen und antwortete:
»Ich werde mir morgen erlauben, persönlich nachzufragen, wie Sie die jetzige Unruhe überwunden haben.«
»Nein. Das ist es nicht, was ich meine. Verlassen Sie vielleicht jetzt das Hotel?«
»Nein.«
»Sie bleiben also hier, bis der mir zugedachte Besuch geschehen ist?«
»Ja.«
»Nun, ich werde auch wach bleiben. Unter solchen Umständen bleibt natürlich der Schlaf fern. Ich bitte Sie also, mich zu benachrichtigen, wie das Abenteuer geendet. Wollen Sie das, Herr Doctor?«
»Sie befehlen, und ich werde gehorchen.«
»Nein, gehorchen sollen Sie nicht. Sie sollen es gern thun.«
»Das thue ich auch. Es wird mich sehr glücklich machen, Ihnen melden zu können, daß eine Gefahr, welche Ihnen drohte, glücklich vorübergegangen ist.«
»Ich danke Ihnen! Also exponiren Sie sich nicht! Sie tragen Ihre Hand im Verbande; Sie müssen sich schonen!«
Ein herzlicher Händedruck und er ging.
Unten wartete der Wirth auf ihn. Er fragte:
»Also Sie sind überzeugt daß man die Beraubung der Miß wirklich vor hat?«
»Ja.«
»Wie nahm sie diese Nachricht auf?«
»Mit großer Fassung. Sie war ja vorbereitet.«
»Gott sei Dank! Was aber thun wir nun?«
»Ist noch Niemand gekommen?«
»Nein.«
»Quartiren Sie die Dame schleunigst aus, zur Sicherheit gleich eine Treppe höher. Aber dieser Fremde darf nichts merken. Unterdessen wird die Polizei kommen.«
»Schön, schön! Er soll gar nichts merken; ich werde ihn mit dem Essen so beschäftigen, daß er weder Etwas sehen noch Etwas hören soll. Weiß die Miß, daß sie andere Zimmer erhält?«
»Ja. In fünf Minuten ist sie bereit. Aber instruiren Sie Ihr Personal. Es muß Alles so unauffällig wie möglich geschehen.«
»Ganz wie Sie befehlen! Aber, bitte, darf ich vielleicht Ihren Namen erfahren?«
»Doctor Holm. So haben Sie mich ja anmelden lassen.«
»Ja, ja! Daran dachte ich nicht. Ich bin so erregt, daß ich selbst das bereits vergessen habe. Es steht für mich ja so viel auf dem Spiele. Der Ruf meines Hauses – – –!«
»Wird nur gewinnen, wenn man hört, daß es hier selbst dem schlauesten, raffinirtesten Menschen nicht möglich ist, ein Verbrechen zur Ausführung zu bringen. Eilen Sie jetzt.«
Als der Wirth aus dem Zimmer hinaus in den Flur trat, hielt eine Droschke vor der Thür. Er trat unter den Eingang und sah, daß neben dem Kutscher ein großer Reisekorb befestigt war. Zwei Damen und zwei Herren stiegen aus. Der eine Herr fragte: »Das ist hier Hotel Union?«
»Ja, mein Herr.«
»Können wir Beide mit unsern Frauen hier wohnen?«
»Gewiß; nur liegen die Familienzimmer zwei Treppen hoch.«
»Das genirt uns nicht. Komm, Emilie; komm, Henriette!« Dieser Herr hatte das mit sehr lauter Stimme gesprochen. Die Vier traten in das Haus. Und jetzt fragte dieser Herr: »Haben Sie unten einstweilen eine Stube, in welcher sich jetzt keine Gäste befinden?«
»Mein eigenes Wohnzimmer.«
»Schön! Führen Sie uns hin. Befindet sich Herr Doctor Holm im Gastzimmer?«
»Ja,« antwortete der Wirth erstaunt.
Der fremde Herr öffnete die Thür und gab Holm einen
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