Der verlorne Sohn
Ihrem Schreibtische, während des Verhörs.«
»Das wäre der Hauptschlüssel zum Gefängnisse!«
»Was! Wirklich! Da, sehen Sie!«
Der Assessor nahm den Schlüssel in die Hand und sagte gleich nach dem ersten Blicke, den er darauf geworfen hatte, in sichtlicher Bestürzung: »Er ist es, der Hauptschlüssel! Aber neu, vielleicht nachgemacht, ohne Erlaubniß!«
»Ist’s möglich! Ist’s wahr! Irren Sie sich nicht?«
»Nein. Ich kenne ihn so genau, daß ein Irrthum gar nicht stattfinden kann.«
»Dann ist ein Verbrechen geschehen; dann ist es so, wie ich vermuthete: Der, welcher durch Ihr Räuspern entkommen ist, war der Hauptmann.«
»Sie meinen den Baron Helfenstein?«
»Ja.«
»Unmöglich! Der ist ja gefangen!«
»Kennen Sie diese kleinen Schlüssel?«
Der Assessor untersuchte sie und sagte dann bestürzt:
»Einige kenne ich. Sie passen zu Handschellen und eisernen Bretzeln, mit denen Gefangene geschlossen werden.«
»Ha, also doch! War der Hauptmann gefesselt?«
»Ja.«
»Der Hauptschlüssel, diese Fesselschlüssel, der blutige Hammer! Herr Assessor, wir müssen sofort, sofort nach dem Gefängnisse! Die Anderen mögen den Gefangenen nachbringen; ich werde eine Droschke schicken. Aber geht mir nicht etwa fein säuberlich mit diesem Menschen um. Laßt keine seiner Bewegungen aus den Augen!«
Er wickelte den Hammer sorgfältig in sein Taschentuch, steckte ihn mit den Schlüsseln ein und zog den Assessor mit sich fort. Das Thor war bereits wieder geöffnet worden. Die Beiden eilten nach der nächsten Nachtstation, schickten eine Droschke nach dem Hotel und ließen sich von einer zweiten nach dem Gefängnisse fahren.
»Sollten Sie Recht haben!« sagte der Assessor.
»Gott gebe, daß ich mich täusche!«
»Sie meinen, daß dieser Bormann den Hauptmann befreit habe?«
»Ja.«
»Wie wäre er zu den Schlüsseln gekommen?«
»Den Hauptschlüssel hat er gehabt, woher, das werden wir wohl erfahren, die anderen hat er im Gefängnisse gefunden. Und mit dem Hammer – ah!«
»Welch ein Gedanke! Sind wir bald da?«
»Noch nicht. Ich brenne vor Ungeduld. Ist der Hauptmann entkommen, dann wehe uns! Er wird nach unserem Blute lechzen!«
»Hoffentlich täuschen Sie sich.«
»Ob ich mich irre, werden wir sogleich erfahren. Da sind wir, steigen wir aus!«
Noch während der Fürst den Kutscher bezahlte, klingelte der Assessor mit einer hier ganz verpönten Heftigkeit. Erst nach einiger Zeit öffnete sich das über dem Hauptthore gelegene Fenster und die Stimme des Wachtmeisters Uhlig ließ sich hören: »Wer ist da?«
»Assessor von Schubert. Schnell öffnen, schnell!«
»Gleich, gleich.«
Der Wachtmeister sputete sich gewiß möglichst, aber es dauerte den Beiden doch fast zu lange. Endlich kam er und ließ sie ein.
»Alles in Ordnung?« fragte der Assessor, noch im strömenden Regen.
»Alles, ja Alles!«
»Na, nur erst hinein in Ihre Stube!«
Als sie dort eintraten, sahen sie, daß der Wachtmeister nur Hose, Capot und Pantoffeln trug, so sehr beeilt hatte er sich, ihnen zu öffnen.
»Also es ist Alles in Ordnung?« fragte der Assessor.
»Ja.«
»Nichts geschehen?«
»Nein, sonst hätte man es mir gemeldet.«
»Wer hat die Nachtwache?«
»Schließer Leistner.«
»Sind die Pikets richtig abgelöst?«
»Um Zwölf Uhr das Zweite. Dann ging ich schlafen. Um vier Uhr wird die dritte Ablösung kommen.«
»Der Hauptmann soll entflohen sein.«
»Herrgott!«
Mehr brachte der brave Mann vor Schreck nicht heraus.
»Ja, und zwar unter Blutvergießen!«
»Gott behüte mich!«
»Führen Sie uns hinauf!«
Der Wachtmeister brannte eine Laterne an und führte die beiden Herren die Treppe empor, unter welche Bormann seine Stiefeln einstweilen versteckt hatte. Als er oben die Thür aufgeschlossen hatte und nach der Aufsichtszelle blickte, sagte er betroffen: »Da hing noch um zwölf Uhr der Rock und die Mütze des Schließers. Sollte er diese Sachen in die Zelle geholt haben!«
»Wir werden sehen.«
»Wer hat das Gas zurück gedreht?«
»Doch wohl nicht der Schließer. Schnell, nachsehen! Der Mann müßte uns hören, selbst wenn er eingeschlafen wäre. Wir sprechen ja laut genug!«
Der Wachtmeister öffnete die Aufsichtszelle und sagte in hörbar erleichtertem Tone:
»Dort lieg er! Er schläft. Fast hatte ich ihn im Verdacht, daß er den Gefangenen entkommen gelassen habe, wenn es wirklich wahr ist, daß der Hauptmann fort ist.«
»Wie, er schläft?«
»Ja, da.«
»Und erwacht nicht, wenn wir so
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