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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schmerzhaften Rufe auszustoßen. Der Fürst von Befour war hereingetreten, hatte ihn mit der linken Hand bei der Kehle gepackt und ihm mit der Rechten einen solchen Hieb in das Auge versetzt, daß er das Mädchen losließ.
    »Himmeldonnerwetter!« brüllte er auf, indem er mit beiden Händen nach dem Auge fuhr. »Wer wagt es, hier einzutreten und – ah, Kerl, hier die Antwort!«
    Er hatte den Fürsten erblickt und holte aus, demselben einen Jagdhieb zu versetzen. Der Fürst aber war schneller als er und schlug ihm die Faust zum zweiten Male in der Weise an den Kopf, daß er zu Boden stürzte.
    »Gott, mein Gott, welch ein Unglück!« rief das Mädchen. »Ich aber bin schuldlos; ich kann nichts dafür!«
    »Das weiß ich sehr genau, mein Fräulein,« sagte der Fürst. »Beruhigen Sie sich! Ich weiß, daß dieser Mensch Sie durch Lügen verlockte, ihm an diesen Ort zu folgen. Verlassen wir ihn augenblicklich. Er hat die Besinnung verloren. Kommen Sie!«
    Er ergriff sie mit der einen Hand, nahm ihr Tuch und ihren Korb in die andere und zog sie hinaus und zur Treppe hinab. Unten führte er sie in die Küche.
    »Füllen Sie diesen Korb mit Brod, Butter, Fleisch und Wein!« gebot er.
    Er griff selbst mit zu. Sie stand da, als ob sie nicht begreifen könne, was hier geschah. Er zog Geld aus der Tasche und bezahlte, ohne sich zurückgeben zu lassen; dann hat er sie: »Bitte, vertrauen Sie sich jetzt mir an. Ich werde Sie nach Hause begleiten!«
    Er nahm ihren Arm in den seinigen, ergriff den Korb und führte sie fort. Sie folgte ihm wie im Traume. Sie war einer großen Gefahr entronnen. Sie dachte gar nicht daran, ihm den schweren Korb abzunehmen. So kamen sie zur Wasserstraße.
    »In welcher Nummer wohnen Sie?« fragte er.
    »Nummer Zehn, mein Herr. Hinterhaus parterre.«
    Die Thür stand noch offen. Sie traten ein, passirten dann einen Hof und kamen in einen engen, dunklen Hausflur, wo das Mädchen eine Thür öffnete. Finsterniß herrschte da.
    »Bist Du es, Anna?« fragte eine männliche Stimme.
    »Ja. Warum hast Du kein Licht?« antwortete sie.
    »Das Oel ging aus. Ich wollte die letzten Tropfen für Deine Rückkunft aufheben. Hast Du Etwas gefunden?«
    »Ja, lieber Vater. Warte nur. Ich will Licht machen!«
    »Ja, brenne an. Ich habe Hunger!«
    »Hunger!« ließ sich ein knurrendes, fast unarticulirtes Echo aus einer Ecke vernehmen, die aber noch nicht zu sehen war.
    Ein Zündhölzchen flammte auf, und dann brannte der Docht einer kleinen Lampe. Der Fürst stand vor der noch offenen Thür. Er hatte den Korb neben sich niedergesetzt. Er erblickte ein Zimmer oder vielmehr ein kaltes, feuchtes Gewölbe. Einiges Stroh und einige Lumpen lagen am Boden, darauf ausgestreckt in dem Winkel die Gestalt eines einbeinigen Mannes, in dem anderen Winkel aber eine hundeartig zusammengerollte Masse, welche man kaum für ein menschliches Wesen nehmen konnte. Der Eine war der Vater und der Andere der stumpfsinnige Bruder der armen Nähterin, der es jedenfalls nicht an der Wiege gesungen worden war, daß sie einst ein solches Elend ertragen müsse.
    Der einstige Wachtmeister erblickte beim Scheine der Lampe den Fürsten und fragte in mißtrauischem Tone:
    »Wer steht hier? Wen hast Du mitgebracht? Einen Polizisten?«
    »Nein, o nein, lieber Vater!« antwortete sie. »Das ist mein Retter, mein Wohlthäter, welcher uns einen ganzen Korb voll – – ah, mein Herr, soll das, was sich in dem Korbe befindet, wirklich uns gehören?«
    »Natürlich, natürlich, liebes Fräulein,« antwortete er, indem er eintrat und die Thür hinter sich zuzog. »Aber lassen Sie vor allen Dingen schauen, was hier das Nothwendigste ist!«
    Es herrschte eine dumpfe Feuchtigkeit, eine grimmige Kälte in dem Raume, welcher mehr einem Stalle, als einer menschlichen Wohnung glich. Ein kleiner Windofen stand in der Ecke, an der Wand lehnte ein Tisch und an dem einzigen, kleinen Fenster standen zwei alte Stühle, auf welche sich zu setzen, gefährlich zu sein schien.
    »Giebt es hier in der Nähe Holz und Kohlen zu kaufen?« fragte der Fürst.
    »Zur jetzigen Stunde nicht mehr,« antwortete das Mädchen.
    »Aber Feuer müssen Sie haben. Kommen Sie, bitte, helfen Sie mir hier den Korb leeren.«
    Der Alte hatte sich inzwischen mit Hilfe seines Stelzfußes erhoben und trat herzu. Er sah, was die Beiden dem Korbe entnahmen und auf den Tisch legten.
    »Herrgott!« rief er, indem seine Augen gierig funkelten. »Brod, Butter, Käse, Schinken, Wurst, Eier, Fleisch und Wein!

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