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Der verlorne Sohn

Der verlorne Sohn

Titel: Der verlorne Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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habe ich kein Geld gesehen! Und nun gar Gold! So sehr viel Gold!«
    »Nehmen Sie es in Gottes Namen! Es gehört Ihnen. Sie erhalten vom Fürsten des Elendes eine jährliche Pension von dreihundert Thalern. Hier liegt die erste Jahresrate. Was darüber ist, das soll für die Betten und Möbel, und für ein besseres Logis sein, auch für den Arzt, damit Fräulein gesunde Augen bekomme.«
    Da stieß das Mädchen einen lauten Schrei aus. Sie stürzte unter Thränen auf ihn zu und warf förmlich die Arme um ihn.
    »Mein Retter! Mein Wohlthäter! Unser Engel!« schluchzte sie.
    Der Alte konnte sich ebenso wenig halten. Er ergriff beide Hände des Fürsten und sagte:
    »Herr, wer Sie auch sein mögen, Sie sind ein Engel, den uns Gott gesandt hat. Er mag es Ihnen vergelten, wir können es nicht.«
    Der Irrsinnige hatte dem Vorgange zugesehen, ohne ihn begreifen zu können. Jetzt aber belebten sich auch seine Augen. Das Verständniß schien ihm zu kommen. Er rollte sich vom Boden auf, trat herzu, streichelte dem Fürsten mit der behaarten Hand über das Gesicht und murmelte in einem Tone, welcher seine höchste Zärtlichkeit ausdrücken sollte, aber wie das Grunzen eines Yacks erklang: »Gut, sehr gut Du! Mein Vater Du! Mein Bruder Du! Ich todtschlagen alle Feinde von Dir! Ich mir merken Dich!«
    Welcher Dank der ergreifendste war, derjenige des Vaters, der Tochter, oder des Schwachsinnigen, das konnte der Fürst natürlich nicht unterscheiden und bestimmen. Er riß sich los und sagte: »Nicht mir gebührt der Dank, Ihr Leute. Der Fürst des Elendes hat mich geschickt, um den Fehler gut zu machen, den das Schicksal an Euch begangen hat. Er wird an Euch denken und auch weiter für Euch sorgen. Denkt auch Ihr seiner freundlich! Und wenn Ihr betet, so betet auch mit für ihn!«
    Bei diesen Worten schloß er bereits die Thür hinter sich. Er eilte durch die dichte Finsterniß der beiden Flure und des Hofes hinaus auf die Straße.
    Das war die zweite Familie, welche er heute Abend glücklich gemacht hatte, die eine hier in Nummer Zehn und die Andere in Nummer Elf der Wasserstraße. Denn daß sich auch die Familie des Schneiders Bertram glücklich fühlte, das war gewiß. Ihre Glieder hatten seit langer Zeit sich zum ersten Male wieder sättigen können.
    Die Kinder lagen schlafend auf ihren Strohsäcken. Der Brustkranke lehnte in seinem Stuhle, mit geschlossenen Augen und leise athmend; auch ihn wollte ein kurzer Schlummer erquicken. Marie war ein Stündchen eine Treppe tiefer gegangen und Robert, der Schreiber, stand in seinem Nebenstübchen am Fenster und schaute hinüber, wo jenseits der Gärten sich das Palais des Obersten von Hellenbach erhob.
    Dort wurden jetzt die Fenster dunkel, welche am heutigen Abende so festlich erleuchtet gewesen waren. Ein Licht erlosch nach dem andern, bis nur noch ein Fenster erleuchtet blieb.
    Dieses Fenster kannte Robert sehr genau. Wie oft, wie sehr oft hatte sein Auge auf demselben geruht, wohl mit derselben Ehrerbietung, mit welcher der kleine Käfer empor zur Sonne schaut.
    Auch jetzt zog er den Tischkasten heraus und entnahm demselben ein kleines Fernrohr. Keine Noth, selbst der Hunger nicht, hatte ihn vermocht, sich desselben zu entäußern, denn dieses Rohr war für ihn der Weg zur Seligkeit; es erlaubte ihm, von hier hinüber zu schauen zu Der, von der er im Wachen träumte und über die er im Traume wachte. Er zog das Rohr aus und richtete es nach dem Fenster hinüber. Was sah er?
    Zwischen den Gardinen vorüber sah er sie vor dem Nachttische stehen. Ihr Lockenhaar hing aufgelöst wie eine fließende Mähne auf die entblößten Schultern herab, welche aus der Ferne wie Silber und Perlmutter herüberglänzten. Sie hatte begonnen, sich zu entkleiden, und sein Blick folgte dem Gemälde, welches kein Maler in solcher Vollendung auf die Leinwand zu zaubern vermocht hätte. Und als das herrliche Bild verschwunden war, schob er das Rohr zusammen und flüsterte: »Ja, sie ist die Incarnation der Nacht des Südens, jener funkensprühenden, reflexerglühenden, mächtigen, prächtigen Nacht der Tropen, wie ich sie im Gedichte geschildert habe. Sie hat zu diesen Versen gesessen und – und ich –? Ah, ich bin der Wurm, der während dieses Sternenflammens am Boden kriecht. Ich hätte nicht jene stolze, glückliche, strahlende Nacht schildern sollen, sondern die weinende, vor Thränen triefende Nacht, welche die unglückliche Schwester der ersteren ist. Ob ich das wohl brächte? Ob ich es vermöchte,

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